Täglich melden sich bis 100 NS-Opfer

Vor einem Jahr verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Entschädigung früherer NS-Zwangsarbeiter. Mit der Umsetzung wurde eine Stiftung betraut, deren Experten sich bemühen, den Opfern gerecht zu werden

BERLIN taz ■ Es geht ums Geld. „Die Immobilie war eine der günstigesten in der Umgebung“, sagt der Verwaltungschef der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, Karl-Heinz Michalczik.

Das gab den Ausschlag. Denn die Stiftung, die über Partnerorganisationen die Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter regelt, wird nur drei oder vier Jahre arbeiten. Einzig der Zukunftsfonds, der mit 700 Millionen Mark ausgestattet ist und ab Herbst soziale Projekte und den Jugendaustausch fördern soll, ist langfristig angelegt.

Provisorisch wirkt die Unterkunft in der Berliner Markgrafenstraße nahe dem golden glänzenden Springer-Pressehaus. Zuvor hatte die Versicherung „Berlinische Leben“ hier ihre Räume. Zwei Stockwerke hat die Stiftung angemietet, die anderen Büros stehen leer. Unwirklich ruhig ist es in dem Gebäude, und geräuschlos verläuft auch die Arbeit der Stiftung. Vor einem Jahr trat das Entschädigungsgesetz in Kraft, doch die Zwangsarbeiter mussten weiter auf ihr Geld warten. Nach dem monatelangen Gezerre um die Rechtssicherheit für deutsche Firmen vor Klagen in den USA will das 30-köpfige Team der Stiftung vor allem eines: die 10 Milliarden Mark möglichst schnell und unbürokratisch an die Opfer verteilen. Seit Juni laufen die Auszahlungen, in der vergangenen Woche haben auch die Ukrainer die erste Tranche erhalten.

Michalczik hat nach der Wende die brandenburgische Justiz mit aufgebaut. Exminister Hans-Otto Bräutigam, heute im Vorstand der Stiftung, holte ihn nach Berlin. Da war Michalczik schon im Ruhestand. Er sagte dennoch zu, als Berater, stundenweise. Doch: „Inzwischen ist das ein Geschäft von acht bis acht.“ Am Anfang fühlte sich der Verwaltungschef ein wenig auf verlorenem Posten, hatte weder Räumlichkeiten noch Mitarbeiter. Das Bundesamt zur Regellung offener Vermögensfragen leistete Amtshilfe. Im Herbst, nach der Errichtung, wurde die Stiftung von Anfragen geradezu überrollt. Noch heute erreichen sie 50 bis 100 Briefe pro Tag – und eben so viele Telefonate. Opfer, die sich bei ihrer Suche nach Nachweisen über die geleistete Zwangsarbeit und mit Beschwerden lieber nach Deutschland wenden als an die Partnerorganisation in ihrem Heimatland.

Im Büro im Erdgeschoss liegen Stapel unerledigter Post. Die Briefe, oft in kyrillischen Lettern und oft handgeschrieben, zeugen von bedrückenden Lebensgeschichten. Wie das Schreiben der Russin, die als junges Mädchen während des Krieges bei einer deutschen Familie als Kindermädchen arbeitete. Sie hat eine Fotografie von sich und dem Jungen beigelegt und sucht nun Dokumente für den Entschädigungsantrag.

In den letzten Tagen ist bei der Stfitung ein ganzer Schwung von Anträgen eingegangen. Viele der alten Menschen dachten, dass die Antragsfrist am Samstag vergangener Woche ablaufen würde. Sie wissen nicht, dass diese bis Jahresende verlängert wurde. Noch immer steht es um die Informationspolitik mancher Partnerorganisationen nicht zum Besten.

Zwar sind diese formal eigenständig. Aber die Stiftung hat darüber zu wachen, dass sie Entschädigung auch wirklich bei den Opfern ankommt. Bei einer ersten Entschädigungszahlung Anfang der 90er-Jahre waren aus den Kassen der russischen Stiftung 80 Millionen Mark verschwunden. Bevor das Geld ausgezahlt wird, prüfen daher nun Ute Gerlant und ihre Kollegen strichpobenartig nach. Gerade sind drei Mitarbeiter aus der Ukraine zurückgekehrt. Dort haben sich die Prüfteams die Akten heraussuchen lassen und die Angaben auf den Formularen mit den Dokumenten im Archiv verglichen. Stimmen Name, Geburtsdatum, Einsatzort?

Immer wieder kommt es vor, dass Opfer der falschen Entschädigungskategorie zugeordenet oder Anträge von Kriegsgefangenen angenommen werden, die laut Gesetz keine Leistungen erhalten. Die Prüfer sieben diese aus. Bei Fällen wie den Beteiligten des Warschauer Ghetto-Aufstandes von 1943, die eigentlich nicht unter das Gesetz fallen, sucht die Stiftung nach einvernehmlichen Lösungen. Manchmal lautet die Antwort aber auch Nein. Schließlich müssen die Prüfteams dafür sorgen, dass das Gesetz eingehalten wird – im Interesse der Anspruchsberechtigten.

Die Prüfteams können nur 2 bis 5 Prozent der Anträge abgleichen. „Die 10 Prozent, mit denen sich die österreichische Stiftung schmückt, wären natürlich schöner“, sagte Ute Gerlant. Aber: „Die haben auch viel weniger zu bearbeiten.“

Mit bis zu 1,5 Millionen ehemaligen Zwangsarbeitern rechnet die Stiftung – bei drei Prüfteams à drei Leuten. Mehr ist nicht drin, bedauert Verwaltungsschef Michalczik. Schließlich müssen alle Kosten aus dem Entschädigungstopf gedeckt werden. „Wir verstehen uns als Anwälte der Zwangsarbeiter. Je weniger wir hier ausgeben, desto mehr erhalten die Opfer.“

NICOLE MASCHLER

Weitere Informationen unter: www.stiftung-evz.de