Im Sofa versunken

Thomas Morr steht auf „Euphorie-Flashs“, der Name seines Labels hat sich zum Genre-Begriff für minimale, warme Elektronik gemausert: Morr Music

von SEBASTIAN HANDKE

Was bleibt, ist dieses Lächeln. Als Dennis Tito seinen All-Urlaub antrat, strahlte er via Satellit honigskuchengleich auf die ganze Erde unter ihm, frei schwebend und glücklich. Nicht nur wir, auch seine Katze hatte das Nachsehen. Nun, so scheint es, schickt das Integrated Services Analogue Network (ISAN) die „Lucky Cat“ doch noch auf Reisen, und alle dürfen daran teilhaben. Und lächeln.

Robin Saville und Antony Ryan sind ISAN, und ihr analoges Netzwerk besteht aus einer DSL-Leitung, die zwei außergewöhnlich bestückte Studios verbindet. Dort stehen Klanggeräte, die ihren eigenen Willen haben, für die es nie eine Bedienungsanleitung gab. Mit Low-Fi aber hat man nichts zu schaffen. Jedes Stück glimmt und funkelt in ganz besonders tiefen Farben, und wer nicht aufpasst, dem kommen Metaphern des „Einfachen“ und „Puren“ in den Sinn: Musik für Mondbasen, deren Vorliebe für die reine (Sinus-)Schwingung und raumöffnenden Hall auch die „Space Night“ des Bayerischen Rundfunks ziert. Doch ISAN bauen die Wärme und die Melodie mit ein, und sie sind immer auch ein bisschen merkwürdig. Der uns solches näher bringt, heißt Thomas Morr, sein Label: Morr Music.

Seit nunmehr zwei Jahren wirft das Berliner Label monatlich eine Platte aus, fast jede ist ein Kleinod. Sein Name wird mittlerweile auch als Genre-Bezeichnung verwendet, nur aus der Ferne noch grüßen die alten Vorbilder (Boards of Canada, Tortoise, Aphex Twin). Längst hat man es sich gemütlich gemacht auf einer eigenen Spielwiese des träumenden Elektronik-Pops, wo das Affirmative auch das Melancholische ist; an einem Ort, an dem sich Melodie und Geräusch gute Nacht sagen. Wären sie nicht längst im Sofa versunken, würden sie sich gegenseitig auf die Schultern klopfen und zu ihrem guten Geschmack gratulieren. Überhaupt gilt Sympathie hier viel.

„Ich würde nur ungern etwas mit Leuten machen, die ich nicht mag“, sagt Thomas Morr. Denn das Schönste an diesem „eigentlich stinklangweiligen Bürojob“ seien doch diese gemeinsamen „Euphorie-Flashs“ aus geträumten oder realisierten Projekten. Das gleiche gilt für die Musik. Wo man einen Masterplan, eine exakte Strategie vermuten könnte, herrscht nur eine Regel: Es muss Thomas gefallen. Das heißt, wenn die Testpressungen nicht gerade am isländischen Zoll hängen bleiben.

Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis das isländische Quartett Mùm auf Morr auftauchen würde, denn da gehört ihre freundliche Elektronik eigentlich hin, und als sie letzten Herbst nur einen Steinwurf von der Morr-Zentrale entfernt auf dem Prenzlauer Berg ihre Wohnstatt eingenommen hatten, besiegelten gemeinsame Abende ein Remixprojekt mit der Morr-Familie.

Nun klingt „Please Smile My Noise Bleed“ ganz selbstverständlich so, als wären Mùm von Anfang an dabei gewesen. Doch Mùm sind, wie schon Bomb the Bass, nur zu Gast. Mit Phonem und b.fleischmann (er versorgt Mùms Vokalisen mit Old School HipHop Beats und einem kratzenden Flamenco-Schuffle) sind zwei Morr-Männer der ersten Stunde unter den Nachbearbeitern. Beide bereiten schon ihr drittes Release vor.

„Jetzt kommen die eigentlich interessanten Phasen“, sagt Thomas Morr, der sich selbst als „eine Art Kurator“ sieht, der auch mal Vorschüsse für ausstehende Mieten gewährt. „Das zweite und das dritte Album, wo man sich entscheiden muss: Macht man was Neues oder wird man zum Trademark?“

Einer hat sich schon entschieden: Phonem zieht erst mal nach Marseille, macht eine Pause, und nach durchgestandenen Vaterfreuden soll etwas Neues folgen. Christian Kleine wiederum bastelt nun schon eine ganze Weile an seinem Album; die Sonntagnachmittagsträumereien, die er mit Thaddeus Herrmann auf der wunderbaren „Kickboard Girl E. P.“ anstellt, sind nicht so einfach auf Albumlänge zu bringen.

Inzwischen werden von einem Titel nicht selten mehr als 5.000 Stück verkauft, für ein Label dieser Art ist das viel. Jetzt sucht Thomas Morr einen Mitarbeiter für das neue Büro mit Gartenanschluss. „Es wird immer wichtiger, dass ein Newcomer in einem Kontext erscheint“, sagt er, „mit einem Label als Plattform für einen bestimmten Sound, als Homebase.“

Manual ist ein solcher Newcomer, und sein melodienseliges, perfekt komponiertes Debut „Until Tomorrow“ ist auch typisch für die Entwicklung des Labels: Gitarre, Bass und andere mechanischen Klangerzeuger werden wieder ins Ensemble aufgenommen. „Diese G4-Acts mit ihrer immer neuen Software, da werden nur wenige überleben“, meint Thomas Morr, und da kommen dann seine Indie-Rock-Wurzeln durch, die er übrigens mit vielen seiner Künstlern teilt.

In Zukunft ist also Multiinstrumentalismus mit Computererfahrung gefragt, wie in den etwas abstrakteren Klangschönheiten von Wechsel Garland (ehemals Wunder) oder F. S. Blum. Vor allem aber für den Live-Einsatz, der in Zukunft noch mehr Gewicht bekommen soll. Nächstes Jahr wird es eine Labeltour geben, sogar von einer Morr Music All Star Band wird geträumt, immerhin war b.fleischmann mal Schlagzeuger in einem Hardcore-Act. Mit etwas Glück werden dann auch ISAN ihr Maschinenmuseum mobil machen.