„Gut, dass die Panzer stehen“

Intellektuelle aus der DDR befürworteten den Mauerbau. In einer Antwort an westdeutsche Schriftsteller bezogen sie eindeutig Stellung. Von der Grenzabriegelung erhofften sie sich mehr Freiheit im Inneren

„Am Brandenburger Tor und am Potsdamer Platz stehen Panzer. Es sind sozialistische Panzer, und es ist gut, dass sie da stehen, denn es ist notwendig.“ Mit diesen Worten reagierte Franz Fühmann 1961 auf ein offenes Schreiben von Günter Grass und Wolfdietrich Schnurre. Fühmann war damals noch nicht die große Persönlichkeit der literarischen Szene der DDR, die er in den Siebzigerjahren wurde. Doch die Post der westdeutschen Kollegen wollte er keinesfalls unbeantwortet lassen. Grass und Schnurre hatten sofort nach dem 13. August 1961 einen Brief an den DDR-Schriftstellerverband geschickt. Darin forderten sie die Prominenteren unter ihren Kollegen auf, öffentlich zum Mauerbau Stellung zu nehmen.

Entfremdung der Intellektuellen

Diese waren genau wie Fühmann nicht verlegen. „Ich gebe den Maßnahmen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik meine uneingeschränkte ernste Zustimmung“, so damals Stephan Hermlin. Erwin Strittmatter wies Grass und Schnurre grob zurecht. Sie sollten sich gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten in der BRD kümmern, etwa um das KPD-Verbot. Bruno Apitz, der 1956 mit „Nackt unter Wölfen“ in einer autobiografischen Beschreibung des Konzentrationslagers Buchenwald einen Klassiker der DDR-Literatur verfasst hatte, gab sich ebenfalls unversöhnlich: „Bevor Sie mit mir über das ,Unrecht‘ des 13. August sprechen, möchte ich Ihnen den Rat geben, über die historischen Ursachen nachzudenken, die zu den Maßnahmen meiner Regierung an diesem Tage geführt haben.“

Die Entfremdung zwischen den Geistesschaffenden in Ost und West war bereits vor dem Mauerbau tief. Die meisten Künstler und Wissenschaftler in der DDR lehnten den westdeutschen Staat grundsätzlich ab. Die Bundesrepublik war einem beständigen Faschismusverdacht ausgesetzt. So antwortete der Komponist Paul Dessau an Grass und Schnurre: „Der Sozialismus, der noch Fehler aufweist, ist mir lieber als ein perfektionierter Faschismus.“ Das kleinere Deutschland hielten sie nicht für das Paradies auf Erden, wohl aber für die bessere Alternative gegenüber dem „Globkestaat“. Für die Massenfluchten machte man in erster Linie die antikommunistischen Kräfte im Westen, nicht die Unzulänglichkeiten in der DDR verantwortlich.

Das war die Argumentation nach außen. Nach innen verband man mit den „Grenzsicherungsmaßnahmen“ der SED Hoffnungen auf eine Liberalisierung. Endlich sollte der deutsche Sozialismus die Gelegenheit erhalten, sich in Ruhe und abgeschirmt vom Klassenfeind zu entwickeln. Hier setzten sich die Argumentationen des 17. Juni 1953 fort. Gegen die DDR-Bevölkerung hegte man im Grunde noch immer tiefes Misstrauen. Die DDR wurde in ein großes „Erziehungsheim“ (Wolf Biermann) verwandelt, dessen Zaun hoch und fast unüberwindbar war.

Für die Mehrheit der DDR-bejahenden Künstler und Wissenschaftler war der 13. August 1961 allerdings kein großer Einschnitt. Blickt man zum Beispiel auf die Biografie des späteren bekanntesten Oppositionellen der DDR, Robert Havemann, so sind für ihn – stellvertretend für viele – andere Ereignisse entscheidender dafür gewesen, an der politischen Wirklichkeit des DDR-Systems Kritik zu üben. Der 20. Parteitag der KPdSU von 1956, auf dem erstmals der Stalin-Kult und die zahllosen willkürlichen Morde thematisiert wurden, erschütterte das Weltbild Havemanns. Obwohl er sich 1961 innerlich bereits von vielen sozialistischen Gewissheiten entfernt hatte, stimmte er als Volkskammer-Abgeordneter dem Mauerbau zu. Sehr viel entscheidender als die Abriegelung West-Berlins war für Havemann die Niederwerfung des Prager Frühlings durch die Sowjetunion 1968. Damit bewies der sozialistische Block, dass er zu inneren Reformen unfähig war.

Biermanns schwieriges Vaterland

Eine Ausnahme von der Bejahung der Mauer bildete Wolf Biermann. Der Liedermacher thematisierte bereits 1962 mit dem Theaterstück „Berliner Brautgang“ den Mauerbau und handelte sich damit sein erstes zweijähriges Auftrittsverbot in der DDR ein. Sehr viel früher als andere thematisierte Biermann die Brutalität der Grenze. Etwa auf seiner Schallplatte „Chausseestraße 131“. Biermann hielt den Widerspruch aus, von den „Bluthunden“ an der Grenze zu sprechen und gleichzeitig die DDR als sein „Vaterland“ zu bezeichnen. Diesen Widerspruch sahen andere nicht und nannten Biermanns Haltung politisch naiv. Für sie war die Mauer die notwendige Bedingung der DDR.

Nach der politischen Wende von 1989 hat keiner der ostdeutschen Intellektuellen seine Haltung von damals revidiert. Ihre Deutungen des Mauerbaus sind heute kritisch, aber nicht distanziert. Am besten passt dazu wohl Heiner Müllers polemische Bezeichnung der Mauer, die er „Mausoleum des deutschen Sozialismus“ nannte.

HEIKO HÄNSEL