Anwidern um jeden Preis

Zur Theorie des Wegekelns. Ein Erfahrungsbericht aus dem sommerlichen Biergarten

Selbstverständlich, man kann es auch einfacher haben. Indem man zum Beispiel sagt: „Zieh Leine!“ Aber die feine Art ist das eben nicht. Es gibt subtilere Methoden. Es muss sie geben – wie sonst sollten Feingeister sich unterscheiden von Gestalten grobschlächtiger Natur? Von gewissen Typen? Die nur eins im Sinn haben: Vergraulen, Wegekeln, In-die-Flucht-Schlagen. Mithin: Anwidern um jeden Preis.

Zu den Nebenwirkungen des derzeit stattfindenden Sommers gehört dicht gedrängtes Beieinandersein unter freiem Himmel, ob im Freibad oder auf der Bundesautobahn. Zeitungen und Illustrierte liefern uns Tipps in Sachen Kontaktpflege, Fröhlich- und Geselligkeit – und sind (leider) nicht so blöd, sich ihrer Geschäftsgrundlage zu berauben, indem sie mit dazuschreiben, wie man sich Leute vom Leibe hält, die eben diese Tipps konsequent anwenden.

Zufrieden saß ich im Biergarten, vor mir ein idyllischer Marktplatz und ein halber Liter Getränk. Frieden, Stille, Harmonie – das kleine Glück. Auftritt Nervensäge, das Fleisch gewordene Klischee: Hawaii-Hemd, kurze Jeans, Socken und Sandalen; setzt sich neben mich und trompetet: „Booaaach, ist das ’ne Hitze. Aber schön, ne?“ Jau, mein Bester. Das dachte ich auch. Bis eben. Bis du kamst.

Was tun in solch einer Situation? Eigentlich sollte es reichen, den lästigen Mitmenschen zu ignorieren. Eigentlich. Uneigentlich beeindruckt es notorische Störenfriede wenig, ignoriert zu werden, da sie sowieso nichts schnallen. Es hilft nur die Offensive. Oder der Zufall: Wenn ein befreundeter Elektrowarenhändler, der meine Notlage erkannte, beherzt eingreift, indem er nämlich dem Hawaiihemd ein Klimagerät aufzuschwatzen beginnt. Tja, höhö! Es heißt: Ein Pils dauert sieben Minuten, in diesem Fall waren es nur anderthalb – und weg war der Blödmann. Das kleine Sommerglück kehrte wieder.

Zugegeben: Dieses so genannte Teufel-Beelzebub-Prinzip – ein großes Übel mit einem größeren zu vertreiben – ist nicht jedermanns Sache. Es ist sehr brutal, sehr grausam. Doch auch eher schonende, sanfte, gleichwohl entschlossene Strategien wider die Nervtötenden bringen Erfolg. Die bekannteren Varianten hier sind Rülpsen und Nasebohren; hier und da mag auch der sorgsam geplante Einsatz von allerlei Fäkalvokabeln effektiv sein. Und manche Vergraulmethode verbirgt sich gar hinter der Maske scheinbarer Liebenswürdigkeit. Meister dieses heimtückischen Fachs sind rar, aber es gibt sie, und oft sind sie ganz nah: Eine Kollegin fing neulich vor meinen Augen an, ihre sabbernde, stinkende und tonnenschwere Neufundländerhündin zu liebkosen, zu befingern und als „Mäuschen“ zu titulieren. Ich verstand. Ich ging.

Und wenn denn Verteidigungsminister Scharping grübelt, wie er seine Bundeswehr bezahlen und zur Abwechslung mal mit so etwas wie einem sinnvollen Auftrag ausrüsten soll – dann kann er ja mal erwägen, gebührenpflichtige Nahkampfkurse für die Öffentlichkeit anzubieten.

Schwachsinniger Vorschlag, meinen Sie? Ach Gottchen. Hab ich Sie denn eigentlich drum gebeten, das hier zu lesen, Sie Arsch?! ANDREAS MILK