„Keine Vorfälle, hahaha!“

Orte für ein blaues Wunder (V): Mancher wählt den Freitod. Doch Korp. Kugler bewacht unbeirrt Checkpoint Kuneitra

Da steht er: uniformiert und sonnenbebrillt, bewaffnet und die blaue Mütze der UNO tief ins Gesicht gezogen. Korporal Ronald Kugler bewacht den israelisch-syrischen Grenzpunkt Kuneitra. Als er uns herannahen sieht, verlässt er seinen weiß gestrichenen eisernen Wachturm und eilt uns behende entgegen in die Hitze hinaus; vorbei an Minenwarnschildern über den grob gewalzten Asphalt. Er könnte schießen, vielleicht zur Warnung, in die Luft, denkt man noch. Doch kurz vor uns kommt er hinter einer Stacheldrahtbarriere zum Stehen.

„Grüß Gott, meine Damen und Herren“, schnarrt es in breitestem Österreichisch unter der blauen Mütze hervor, „willkommen in Kuneitra!“ Ohne unseren Gruß abzuwarten, beginnt er seinen Vortrag – ein Singsang setzt ein: „Sie befinden sich am Checkpoint Kuneitra, mein Name ist Korporal Kugler, ich gehöre dem österreichischen Bundesheer an und bewache das gesamte Areal, das Sie hinter mir sehen.“ Wir sehen: eine verdorrte Ebene am Fuß des Golan. Wir sehen: in der Ferne die Ruinen von Kuneitra, linker Hand den zerstörten Stützpunkt der syrischen Armee.

Wir sehen: einen kleinen Mann in groben Schnürstiefeln, auf dem Kopf das enttäuschend lächerliche Mützchen der UN, offensichtlich durch uns herausgerissen aus einem endlos dauernden Wartezustand. Warten darauf, dass jemand kommt. Dass vielleicht eine der nicht geräumten Minen ringsum hochgeht – einfach so. Dass sich eine wilde Bergziege im Stacheldraht verfängt. Aber heute ist es nur eine Busladung Deutscher.

„Mein Dienst sieht die Kontrolle passierender Fahrzeuge vor, des Weiteren inspiziere ich in regelmäßigem Abstand meine Tonnen. Sehen Sie, dort hinten, das ist Tonne 1, weiter rechts Tonne 2, dann 3 und 4. Acht Tonnen insgesamt. Auf meinen Kontrollgängen melde ich an die Position alle Vorfälle. Es gibt aber gewöhnlich keine, haha.“

Was macht ein Korporal des österreichischen Bundesheeres, so kregel und in den besten Jahren, nach Dienstschluss? Der Korporal: „Ach wissen S’, ich fahre dann nach Tel Aviv oder Jerusalem. Kollegen von mir – da muss man nicht drum herumreden – suchen dort das billige Vergnügen. Ich bin eher kulturinteressiert – das biblische Land, sage ich nur. Aber wissen S’, was mich entteischt an Israel? Der Preis. Die Israelis sind ja unverschämt. Aber sonst gefällt’s mir hier recht gut. Das kann hier nicht jeder von sich sagen. Ich verrate wohl kein Geheimnis, dass seit Beginn des Einsatzes unserer Truppe hier zwanzig Kameraden verstorben sind. Dort hinten, wo das kleine Kreuz steht, sind drei Kameraden von einer Mine zerfetzt worden. Ein Kamerad wurde erschossen auf der syrischen Seite aufgefunden. Man vermutet, dass er mit der Falschen geliebstert hat. Dann natürlich so mancher Selbstmord. Es kommt immer wieder vor, dass einer seine Sorgen aus der Heimat mit hierher bringt. Möglich, er meint, der Wüstenwind würde sie fortblasen. Aber das funktioniert freilich nicht, haha.“

Danke, Herr Kugler, danke! So genau wollte das keiner wissen. Doch Kugler fährt fort. „Eine Bitte hätt ich bitt’ schön. Ich sammel nämlich Bierdeckel, wissen S’. Sie sind doch Deutsche, und Deutschland ist ja quasi das Mekka für Bierdeckelsammler . . . obwohl Mekka ja auch nicht weit von hier ist, haha. Ich schreib Ihnen hier grad meine Adresse auf. Möglich, Sie schicken mir welche. Es wär mir eine Freude.“

Man kann Korporal Kugler in Kuneitra besuchen. Er freut sich. Man sollte ihm ein paar Bierdeckel mitbringen. Man kann sie ihm auch schicken. Die taz hat die Adresse. So viel sei verraten: Er wohnt stilecht in der Arbeitergasse – irgendwo in Österreich.

ANJA MAIER (amaier@taz.de)