Dozieren fürs Kameraauge

■ Eine „kopernikanische Wende“ in der Bildung verspricht sich die Uni Bremen durch Videoaufzeichnungen der Vorlesungen, die ins Internet gestellt werden

Ab diesem Wintersemester bietet die Bremer Fachhochschule in Kooperation mit anderen FHs zwei Studiengänge – Wirtschaftsingenieur und Medieninformatik – auch virtuell übers Internet an, quasi als Fortentwicklung der guten alten Fernuni Hagen, die leibhaftige Anwesenheit nicht mehr erfordert. Die Entwicklung solcher Lernsoftware ist aufwändig und zeitraubend wegen des interaktiven Charakters vieler Lernschritte. Das Bostoner MIT stellte im letzten Jahr ein technisch viel simpler zu realisierendes Bildungsangebot ins Netz. Es filmte ganz schnöde 500 seiner Lehrveranstaltungen ab. Weitergedacht können sich irgendwann einmal AbiturientInnen von Oberaudorf bis Timbuktu ein Bild machen von den Performancequalitäten des Lehrpersonals around the world, um ihre Studienplatzentscheidung zu treffen. StudentInnen können verpennte Vorlesungen zuhause nachholen und Rentner ein bisschen Quantenphysik auffrischen.

Eine Idee, die nun unter dem Namen „d-Lectures“ – d für digital – weiterentwickelt wird vom Multimediazentrum der Bremer Uni und „Bremen Briteline“, dem vom Land finanzierten Zehn-Mann-Unternehmen, welches dem Breitbandnetz auf die Beine hilft. Im nächsten Semester werden drei Vorlesungsreihen mit Videokameras aufgezeichnet. Mit dem Lehrpersonal soll dann eine einfach zu handhabende Software austüftelt werden, mit welchem das Filmmaterial durch Bild- und Textmaterial vertieft werden kann. Das Haus Buhlman spendiert dafür immerhin 25 Millionen Mark.

So einfach die Idee, so umfagreich und schwer kalkulierbar die mutmaßlichen Folgen. Manfred Wischnewsky von der Bremer Uni spricht gar von einer „kopernikanischen Wende“. Vielleicht werden die Jura-Einführungsvorlesungen statt in stickigen Audimaxen demnächst in der Badewanne am Labtop konsumiert werden. Komplizierte Vorlesungen wären von den StudentInnen in Ruhe im Netz zu rekapitulieren. Ein besorgter Dozent aber, der seit er seine nackten Vorlesungsmanuskripte ins Netz stellte schon jetzt Zuhörereinbußen notierte, befürchtet bald nur vor einer Kamera zu sprechen.

Bildungssenator Lemke sieht die Bremer Uni jedenfalls umfassend gerüstet für „Wettbewerb / Wettlauf / Vorsprung / Konkurrenzkampf Ranking“, zumal jetzt Generalverträge mit Notebookherstellern für günstige Leasingkonditionen für Studenten abgeschlossen wurden und „50 bis 100“ Unilehrer auf das Unterrichten im digitalen Zeitalter vorbereitet werden – denn die neuen Vermittlungstechniken fordern zum Beispiel einen anderen Einsatz von Grafiken.

Wie sehr der Jargon der Ökonomie Einzug gehalten hat ins Bildungswesen zeigt Wischnewsky. Der Student der Zukunft wird aus dem „Bildungsportfolio“ der Unis von Sydney bis Honkong sein Studium zusammenbasteln, beraten von einem „Informationbroker“. Und wenn jeder Student „Zugang zu den besten Professor“ der Welt hat, kann das eigentlich nur heißen, dass irgendwann die schlechteren aussortiert werden – dann, wenn wieder eine neue Sparrunde eingeläutet wird. bk