Das Ding schaukeln

Was in Amsterdam geschieht. Am helllichten Tage. Eine wahre Geschichte

Zufällig traf ich jüngst einen guten Freund, der gerade ein paar Tage in Amsterdam gewesen war. Eine „total verrückte Geschichte, ehrlich“, sei ihm da passiert . . .

„Also Annegret und ich, wir kommen gerade vom Essen und suchen in dem Grachtengewirr unser Auto. Ist gar nicht so einfach, wenn du den Stadtplan im Hotel gelassen hast. Die sehen ja alle gleich aus. Na ja, wir suchen also unseren Golf und finden ihn dann auch. Allerdings steht die Fahrertür sperangelweit auf. Wir eilen hin, und da drin sitzt ein Kerl in blauem Overall mit einem Schraubenzieher und versucht gerade, das Autoradio rauszuhebeln.“

Aus der Affenhöhle . . .

„Ach, du ahnst es nicht.“ Ich stellte mir vor, was ich in dieser Situation getan hätte. Aber er fuhr auch schon fort. „Ich beuge mich hinein, klopfe aufs Dach. ‚Na, Freundchen‘, sage ich, ‚hör mal lieber auf damit.‘ Und er sieht mich an. ‚Deiner‘, fragt er unbefangen. Ich nicke ernst. Und er seufzt leise, kriecht heraus, zuckt nur mit den Schultern und meint dann: ‚Musstu mit rechnen hier, is normal.‘ Und weg war er.“

Ich wurde ärgerlich. „Mensch, hast du ihn denn nicht aufgehalten, zur Polizei geschleppt oder irgendetwas.“ Aber er sah mich eindringlich an. „Der war mit einem Schraubenzieher bewaffnet. Außerdem hatte Hank da ja noch nichts geklaut.“ Ich stutzte. „Hank? Habt ihr dann auch noch Brüderschaft getrunken oder was?“

Er hob wichtig die Augenbrauen. „Pass auf, das war ja noch nicht alles . . . Am nächsten Morgen besuchen wir den Zoo. Und bei den Affen sehe ich einen Mann im blauen Overall, der gerade unter großem Bohei Früchte von einer Schiebkarre lädt und durchs Gitter steckt.“

„Hank“, sagte ich. Er nickte. „Auch er erkennt mich, winkt uns herbei, entschuldigt sich nochmal wegen der Sache am Vorabend, na ja, wie’s so geht, jedenfalls unterhalten wir uns ganz nett. Dann muss Annegret mal aufs Klo, und gerade als sie außer Sichtweite ist, blickt er forschend in die Runde, holt eine Flasche Malz-Whiskey unter dem Obst hervor und kippt einen anständigen Zug. Er bietet mir die Flasche an, aber ich lehne ab. ‚Ist noch zu früh für mich‘, sage ich. Aber ein großer Schimpanse steht da schon die ganze Zeit am Gitter, und der streckt jetzt den Arm raus, das musst du dir mal vorstellen, und Hank gibt ihm so selbstverständlich die Flasche, als wär’s ne Banane.“

„Hör auf!“, ermahnte ich ihn, aber er nahm mich gar nicht mehr wahr. „Der Affe sieht sich das Etikett an, schmatzt genießerisch und schluckt das Zeug wie Wasser.“ – „Das gibt’s doch gar nicht“, sagte ich. „Hab ich ja auch gedacht. Aber Hank meinte nur: ‚Hör mal, die Tiere sind so verdammt arm dran, die versuchen auch nur, das Ding hier irgendwie zu schaukeln.‘ “ Ich schüttelte unsicher und unwillig den Kopf. „Na ja, als der Schimpanse dann sein Quantum weghat, gibt er Hank die Flasche zurück und trollt sich zwanzig Meter weiter in seine Höhle.“ – „Und Annegret hat natürlich nichts davon mitbekommen“, sagte ich scheinheilig. „Nee, die war ja auf’m Klo.“ Er hob unheilvoll den Zeigefinger. „Schließlich kommt sie aber zurück und winkt mir von weitem. Ich verabschiede mich von Hank, wir wünschen uns beide einen schönen Lebensabend, und dann gehe ich ihr entgegen . . . an der Affenhöhle vorbei.“ Er pfiff durch die Zähne, als könnte er es selbst nicht glauben.

. . . dringt Radiomusik

„Was denn noch?“, fragte ich genervt. „Aus der Affenhöhle kommt Musik raus. Und dann wird der Sender verdreht.“ – „Welcher Sender?“ – „Radio Hilversum oder was weiß ich.“ Er winkte ab. „Jedenfalls hört da jemand die holländischen Zwölf-Uhr-Nachrichten.“

Wir sahen einander an. Dann verabschiedeten wir uns. Und er verschwand festen Schrittes im prallen Menschenleben der Fußgängerzone, das nur darauf wartete, dass er hineingriff.

FRANK SCHÄFER