Gewalt ist reaktionär

Randale entpolitisiert. Denn der Unterschied zwischen Fußball-Hools und Autonomen vermittelt sich den Bürgern nicht. Gewalt führt zur Identifizierung mit der Staatsgewalt

Die Lehre von Genua lautet: Wer nicht von vorneherein eine klare Grenze zwischen friedlichem Protest und politisch nur mühsam gerechtfertigter Gewalt zieht, gerät in den Strudel eskalierender Ausschreitungen. Die Bilder brennender Autos, verwüsteter Geschäfte und blutender Menschen werden im Gedächtnis bleiben. Doch wogegen richteten sich die Massenproteste? Die Parallelwelten von Genua ähnelten sich fatal: Politik wird auf Posen und Bilder reduziert, ohne dass Inhalte transportiert werden.

Verweise auf mangelhafte Polizeitaktik drücken infantile Obrigkeitshörigkeit aus: Nicht nur die Polizei hat mit allen Eventualitäten zurechtzukommen, sondern die Vorbereitung von Massendemonstrationen muss mögliches Versagen von Sicherheitskräften einkalkulieren.

Wer glaubt, Gewalt könne für außerparlamentarische Ziele hilfreich sein, redet der Entpolitisierung das Wort. Denn der Unterschied zwischen randalierenden Fußball-Hools und Autonomen dürfte sich dem Bürger kaum vermitteln. Erst recht nicht, wenn sein Laden verwüstet oder sein geliebtes Auto in Brand gesteckt wird. Solidarität, Identifizierung? Selbstverständlich, allerdings mit den Leid tragenden Genuesern oder der Polizei, nicht etwa mit Hungernden der Dritten Welt. Die Gewalt der Straße ist reaktionär, weil sie auf direktem Wege zur Identifizierung mit Staatsgewalt, Einschränkung von Grundrechten („Es gibt kein Recht auf Ausreise“, wie Berlins Innensenator dröhnt) und Desinteresse an komplexen Themen führt.

Bisher ist es kaum gelungen, die komplizierten Mechanismen des Turbokapitalismus differenziert zu thematisieren, geschweige denn neue politische Konzepte zu kommunizieren, die Hoffnung für Erste und Dritte Welt zugleich vermitteln könnten. Und so lange werden sich westliche Kleinbürger erst einmal um eigene Arbeitsplätze und -zeiten, Renten- und Gesundheitspolitik, Ausbildung und Kriminalität sorgen – bestenfalls noch um eine saubere Umwelt.

Massenproteste werden rasch als telegenes Gewaltspektakel wahrgenommen. Der Antiglobalisierungsbewegung mangelt es an Symbolen, die es zu besetzen gilt, will man politische Botschaften vermitteln. Die Sonnenblume der Anti-AKW-Bewegung und der Grünen war ein solches Symbol. Es ist mitnichten lediglich Resultat der Massenmedien, dass Bewegungen nur Erfolg haben, wenn sie komplexe Zusammenhänge und Konzepte in einem verständlichen und emotional besetzten Symbol verdichten. Bilder bewegen Ideen. Und die Herzen der Adressaten. Sie verbinden Menschen und schaffen mehr als bloße Affekte: Sie könnten für fairen Welthandel, Entschuldung oder die Regulierung internationaler Finanzmärkte („Tobin-Steuer“) stehen.

Zweifelhafter Erfolg des Gipfelprotests: Die Kanadier planen ein abgespecktes G-8-Forum. Politisch ist damit wenig bewegt. Daher werden auch die Organisatoren der Demonstrationen über die Kommunikation ihrer Anliegen nachdenken müssen. Doch solange man zögert, sich deutlich von Gewalt bejahenden Protestformen abzugrenzen, befindet man sich in der Ambivalenz des Deutschen Herbsts mit seiner unklaren Haltung zu gewalttätigem Widerstand.

Künftige Gipfelgegner werden vom heiß geliebten Feindbild „Bullen“ Abstand nehmen und sich mit örtlichen Sicherheitskräften absprechen müssen. Das wird nur möglich sein, wenn man auf so genannten zivilen Ungehorsam unter Einschluss von Gewalt eskalierenden Aktionen verzichtet. Gesucht wird ein emanzipatorischer Ansatz, der Visionen kommuniziert und vermittelt, dass Arbeitsplätze in den westlichen Industrienationen nicht zuletzt vom wachsenden Wohlstand in den Entwicklungsländern abhängen. Oder dass globale Klimaveränderungen zu Kriegen um Wasser und Land führen werden. Für die wir alle bezahlen müssen. Mit Geld, mit persönlichem Verzicht und Schmerzen, die uns weltweit verbinden. Falls uns dies bewusst wird. MICHA HILGERS

Fotohinweis: MICHA HILGERS ist Psychoanalytiker und Publizist in Aachen