ins weltall
: Nicht ohne Kant

Immanuel Kant zufolge treibt ein geheimer Plan der Vorsehung den Menschen dazu, „allerwärts auf Erden zu leben“ – also auch Gegenden zu besiedeln, in die er sich „gewiss nicht aus eigener Neigung verbreitet“ hätte.

Doch der Plan scheint nicht aufzugehen: Kein Vertreter unserer Gattung kam jemals auf die Idee, sein Leben in der Antarktis zu verbringen, in der Sahara werden nach wie vor keine Bauplätze ausgewiesen und in weiten Teilen Sibiriens erinnern nur ein paar leckende Ölpipelines an die zivilisatorische Tatkraft des Homo sapiens.

Kant hätte allerdings Recht behalten, wenn er das Tätigkeitswort „leben“ durch „reisen“ ersetzt hätte. Denn den seltsamen Trieb, auch an den abweisendsten Orten Urlaub machen zu wollen, gibt es ja in der Tat. Wer etwas auf sich hält, verbringt die schönsten Tage des Jahres heute auf einem russischen Eisbrecher im Packeis, durchquert die Wüste auf dem Dromedar oder gönnt sich eine Trekkingtour durch das patagonische Küstengebirge, wo er an neun von zehn Tagen vor lauter Wind die Augen gar nicht aufmachen kann. Und da solche Zumutungen auf Dauer nicht genügen können, träumt der eine oder andere Globetrotter bereits von Ferien auf dem Mond, wo landschaftliche Öde und menschliches Deplaziertsein ja am perfektesten aufeinander abgestimmt sein dürften.

Dieser Traum ist mit Dennis Titos Weltraumabenteuer jetzt in greifbare Nähe gerückt. Bis die ersten All-inclusive-Anlagen auf dem Erdtrabanten fertig gestellt sein werden, dürfte zwar noch etwas Zeit ins Land gehen, aber immerhin steht dem Homo turisticus jetzt der Un-Ort aller Un-Orte, der Weltraum selbst, offen – vorausgesetzt natürlich, er kann auf Ersparnisse in der Größenordnung von 20 Millionen Dollar zurückgreifen.

Zur Freude mondsüchtiger Zeitgenossen mit kleinerem Reisebudget wird der Trip ins All nächstens jedoch deutlich billiger. Inzwischen bastelt der eine oder andere Veranstalter nämlich schon an marktfähigen Programmen für die kosmische Urlaubszukunft. Das Reiseunternehmen Space Adventures, das Tito den Aufenthalt in der internationalen Weltraumstation vermittelte, will sogar ein Weltraumfahrzeug speziell für Touristen entwickeln.

Ab 2003 soll es pro Flug jeweils zwei bis drei zahlende Gäste für kurze Zeit in die Schwerelosigkeit katapultieren – zum Spottpreis von gerade einmal 98.000 Dollar pro Kopf. Um Kunden sorgt man sich nicht im Geringsten: Marktstudien hätten ergeben, so die Firmenleitung, dass man in den ersten drei Jahren Reisen im Wert von neun Milliarden Dollar verkaufen könne.

Bleibt die Frage, was die Touristen dort oben eigentlich wollen, zumal ihnen die meiste Zeit genauso kotzübel sein wird wie unlängst dem amerikanischen Millionär. Doch sie zu stellen, ist sinnlos, zumindest nicht sinnvoller als die Frage nach der Reisemotivation des modernen Touristen überhaupt.

Auch Kant wüsste darauf keine Antwort. Es wird auch im 21. Jahrhundert ein Rätsel bleiben, warum Menschen das unwiderstehliche Verlangen spüren, überall gewesen zu sein müssen.

GERHARD FITZTHUM