Wir arbeiten nicht, wir spielen einfach!

Die Mannschaft ist der Star und Berlin kein Club in London, Paris oder Lagos: Das Shrine Synchro System und der Perkussionist und Afrobeat-Begründer Tony Allen spielen bei den Heimatklängen im Tempodrom am Ostbahnhof

Es klingt gut und ist sicher nicht unrichtig, was die Organisatoren der Heimatklänge in ihre Werbebroschüre geschrieben haben: „Das HeimatKlänge Festival hat sich dank vielfältiger Unterstützung seit 1988 um die Toleranz in der Vielvölkerstadt verdient machen können.“ An diesem Mittwochabend bei Tony Allen und dem Shrine Synchro System machen sich die Heimatklänge auch noch um anderes verdient: um neue Bekanntschaften aus der unmittelbarsten Umgebung.

So lernen wir doch an diesem Abend tatsächlich einmal unseren Nachbarn aus dem dritten Stock kennen, den wir zwar immer grüßen, aber ansonsten noch nie gesprochen haben. Er berichtet uns den einen oder anderen Hausklatsch, lässt sich davon überzeugen, dass wir nicht der Max-Redakteur und die Antiquitätenhändlerin sind, für die er uns immer gehalten hat, und erzählt dann, dass trotz seiner musikalischen Sozialisation durch Speedmetal die Afrobeat-Begründer Fela Kuti und Tony Allen immer „mitgelaufen“ und große Helden von ihm seien. Er ist froh, an diesem Abend Tony Allen einmal live sehen zu können. Tony Allen aber übt sich mehr oder weniger in Zurückhaltung, entfernt sich während der beiden Sets immer mal wieder von seinem Schlagzeug und verschwindet hinter der Bühne.

Das ist insofern doch etwas enttäuschend, als dass er nach dem Tod von Fela Kuti im Jahr 1997 nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass Afrobeat wieder in aller Munde und Ohren ist. Mit den 1999 und 2000 zusammen mit dem französischen House-und Technoproduzenten Doktor L eingespielten Alben „Black Voices“ und „Psyco On Da Bus“ hat es der gelernte Perkussionist Allen verstanden, dem Afrobeat ein neues Gewand zu geben, ohne dabei Abstriche von seinem speziellen Beat und Funk machen zu müssen: Tempo und repetitive Strukturen, Leben und Elektronik, Wurzeln und Moderne, the sound and the fury – Afrobeat 2001.

Tony Allen verströmt zwar einiges an Charisma, wie er da mit dunkler Sonnebrille und Mütze an seinem Schlagzeug sitzt, doch er ist an diesem Abend lediglich ein kleiner Teil eines großen Musikerkollektivs: dem Shrine Synchro System. Gegründet in Erinnerung an Fela Kutis legendären Klub in Lagos, (den sein Sohn Femi Kuti in London wieder eröffnet hat), mischt das Shrine Synchro System seit zwei Jahren die Londoner Clubs auf und steht nun in Mannschaftsstärke auf der Bühne des Tempodroms: Die beiden DJs Rita May und Max Reinhardt, der großartige Dub-Mundharmonikaspieler Errol Linton, der zurückhaltende Perkussionist King Ajanku, der wagemutige Trompeter Abdul Rahim und zwei Sängerinnen, von denen die eine sich Wunmi nennt und früher bei Soul II Soul war, und die andere Weird MC.

Sorgen nun die beiden DJs nachhaltiger für das Beatgerüst als Tony Allen, sind es insbesondere die beiden Sängerinnen, die etwas unruhig und hektisch versuchen, das Publikum zur Party zu animieren mit Spielchen, die man sonst von HipHop-Konzerten kennt: Arme schwenken, rechte Seite, linke Seite, „Say yes“- und „Are you ready“-Rufe.

Als sie damit nur bedingt erfolgreich sind, drohen sie sogar, das Konzert abzubrechen – man sei schließlich hier, um Party zu machen und nicht um vor Leuten zu spielen, die bloß rumstehen. Harter Tabak das, doch Afrobeat 2001 und Berlin 2001 gehen halt so leicht nicht zusammen. Immerhin läuft es nach der obligaten Pause besser: Das Publikum hat sich jetzt eingegroovt, klatscht und tanzt schwungvoller mit als zuvor, und auch unser Nachbar sagt wissend: „Das isser jetzt wirklich, der Afrobeat.“

Allen aber hält sich weiter vornehm zurück, er sorgt für den Ausgleich zwischen DJ-Sounds und Gesangsparts und hostet seine Mitspieler. Er ist da, er ist nicht da: Die Mannschaft ist der Star. Irgendwann ruft Weird MC „Go real!“ – das aber ist leichter gesagt als getan: Globalisierung hin oder her, aus Berlin und dem Tempodrom wird eben doch nicht gleich ein Club in London, Paris oder Nigeria. Und das ist ja auch ganz gut so. Vive la différence! Viva Rebel Music!

GERRIT BARTELS

Fr/Sa ab 21.30 Uhr; So ab 16 Uhr, Tempodrom, Straße der Pariser Kommune