Veränderung des geliebten Gewohnten

■ Die Stimme der Kapverden: Cesaria Evora am Freitag im Stadtpark

Es klingt nach Abschied, ein bisschen zumindest, und das wäre aufrichtig. Wehmütig aber ist es ohne Frage, vermischt mit dem Eingeständnis jener Distanz, die aus Veränderung erwächst und Veränderung einfordert. Aus der Entfernung ist der Blick zurück ein anderer, wandeln sich Nähe, Liebe und Identitäten. Vielleicht zu Besserem, vielleicht zum Gegenteil, sicherlich jedoch zu Neuem. Das allein zählt.

São Vicente di longe erzählt von der heutigen Sicht der Cesaria Evora auf die Insel, auf der sie geboren wurde, auf der sie fast 50 Jahre lang in der Hafenstadt Mindelo lebte, in deren Bars sie mehr als 30 Jahre lang für Seeleute sang, bevor sie in die große Welt aufbrach, die jenseits jenes Archipels beginnt, der einsam dem Atlantik trotzt, 500 Kilometer vor Westafrika, 1500 Kilometer südlich der Kanaren, wo der Tourismus aus dem Norden endet, und abseits der Schiffe, die jahrhundertelang kamen und gingen, inzwischen aber einfach vorbeidampfen an diesen Lavafelsen, derer die Welt nicht mehr bedarf.

São Vicente also, eine von rund zwei Dutzend kapverdischen Ei-landen, betrachtet die Frau, die in einem Monat 60 Jahre alt wird, aus der Entfernung. Aus Paris, wo sie lebt, seit sie vor gut einem Jahrzehnt die Inseln verließ, aus dem brasilianischen Rio und dem kubanischen Havanna, wo große Teile der CD aufgenommen wurden, aus Westeuropa und den USA, wo die Frau mit der gewaltigen warmen Altstimme, welcher einzig die der „Stimme Lateinamerikas“, die von Mercedes Sosa, ebenbürtig ist, zu Kultstatus gelangte.

Je mehr Evora sich geographisch von der Kapverden entfernte, wie zwei Drittel ihrer gerade mal einer Million Landsleute, welche ihr Glück in der ehemaligen Kolonialmacht Portugal, in Frankreich und den USA suchen, je weiter und länger sie fern der Heimat ist, desto intensiver arbeitet sie daran, deren musikalische Essenz zu bewahren: Evoras zehntes Werk ist ihre Liebeserklärung an das Verlassene, aber nicht Verlorene, und dies konsequenterweise im Sound der Kosmopolitin.

Die kapverdische Morna, diese ursprünglich aus westafrikanischen und arabischen Elementen erwachsene Musik gewordene Melancholie, die sich im jahrhundertelangen kulturellen Austausch mit dem Fado der portugiesischen Herrscher und den Rhythmen der Schwarzen des brasilianischen Nordostens und der karibischen Inseln entwickelt hat, diese Morna hat Evora erneut geöffnet. Der Samba und dem Choro Brasiliens, dem Tres und der Bata Kubas, und wer in ruhigen Pianopassagen Jazz, in den Bläsern Salsa und in mancher Gitarrensequenz Blues zu erkennen meint, steht damit nicht allein.

Die Veränderung des geliebten Gewohnten ist es, was die Evora bewegt, hin zu Besserem, vielleicht, sicherlich jedoch zu Neuem. Das allein zählt.

Sven-Michael Veit

Freitag, 19 Uhr, Freilichtbühne Stadtpark