Ackern auf Niemandsland

Unter anderem wegen der ungeklärten Besitzverhältnisse halten nur wenige private russische Landwirte durch

NOWOSIBIRSK taz ■ Malerisch liegt die Wiese neben einem Kiefernwald, direkt an einem See. Viele Feuerstellen zeigen, dass der Ort südlich von Nowosibirsk als Zeltplatz bei Touristen und Einheimischen beliebt ist. Doch gezeltet wird hier erst seit der Bodenreform 1991. Vorher wuchs am Seeufer Weizen.

Seit dem Ende der staatlich gelenkten Landwirtschaft ist die genutzte Ackerfläche in der Region Nowosibirsk um ein Drittel gesunken. Die Böden sind versalzen, die Region leidet unter Trockenheit, und die Landwirtschaft rechnet sich unter den Marktbedingungen nicht. Vor allem ist nach wie vor nicht sicher, wem der Boden gehört.

Zu Beginn der Privatisierung 1991 gründeten viele Bauern mit staatlicher Unterstützung selbstständige Farmen. Heute gibt es keinerlei Subventionen mehr und nur zwei Prozent der landwirtschaftlichen Gesamtproduktion werden in Russland von selbstständigen Bauern erbracht. Ihnen fehlt Kapital für Investitionen und Ersatzteile, denn die Banken erkennen Boden nicht als Sicherheit für einen Kredit an. Günstiges Geld gab es nur zum Anfang der Privatisierung, inzwischen sind Zinsen von 30 bis 40 Prozent normal.

Der Landwirt Oleg hat bis heute durchgehalten. Früher leitete er die Kolchose, die auf dem schön gelegenen Zeltplatz Weizen anbaute. Für seine 500 Hektar Land hat er einen Pachtvertrag, der noch zehn Jahre läuft. Doch ernähren kann er seine Familie mit vier Kindern davon nicht. Er halte noch ein zweites Standbein, erzählt er, ein kleines Café mit Kiosk an der Hauptverkehrsstraße. Landwirtschaft wie Kiosk sind aber nur Sommergeschäft, und Viehhaltung lohnt sich für ihn nicht. Bei Temperaturen von minus 40 Grad Celsius im Winter muss geheizt werden, Kraftfutter ist teuer. Auf seinen Äckern pflanzt Oleg Roggen, Gerste und Hafer. Zwar könnte er mehr Geld mit Weizen verdienen, doch dafür fehlen ihm Dünge- und die Pflanzenschutzmittel. Früher erntete er mit seinen Kolchoskollegen das Doppelte auf der gleichen Fläche, nun sinken die Erträge, da es kaum noch Dünge- oder Pflanzenschutzmittel gibt. Für den Traktor braucht er teuren Diesel und bei bestem Wetter stehen manchmal alle Traktoren still, bis die Betriebsleiterin im Dorf Geld für Treibstoff gesammelt hat.

Das Wichtigste ist für Oleg die Klärung der Eigentumsverhältnisse. Die Umwandlung der staatlichen Böden in Privatbesitz war lange zum Stillstand gekommen und auch die Entscheidung der Duma vom Samstag, Boden weiter zu privatisieren, ändert zunächst nichts. Denn die landwirtschaftlichen Flächen sind von der Reform bisher ausgenommen. Und sollte die Duma den Weg für eine Neuregelung im Agrarsektor frei machen, kann es lange dauern, bis sich etwas bewegt: Allein die Vermessung der Flächen und deren Eintragung der bei Kataster- und Grundämter wird noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

ASTRID THOMSEN