Geheimdienstspezialfonds als Chiracs Urlaubskasse?

Die Franzosen erwarten am heutigen Nationalfeiertag eine Erklärung des Präsidenten zur Reisegeldaffäre, doch eigentlich haben sie andere Sorgen

PARIS taz ■ Seit gestern flattert die Trikolore vor den öffentlichen Gebäuden. Heute Vormittag werden Militärjets auch im Himmel über Paris blau-weiß-rote Streifen hinterlassen. Danach werden 4.600 ElitesoldatInnen, Panzer und berittene Regimenter zu Ehren Frankreichs über die Champs-Elysées ziehen. Und dann hat Staatspräsident Jacques Chirac sein TV-Rendezvous mit dem Volk, das ihn vor sechs Jahren wählte und im nächsten Jahr seine erneute Kandidatur erwartet. So weit herrscht republikanische Routine in Paris. Dennoch ist an diesem 14. Juli vieles anders. Vom Staatschef wird nicht nur die übliche Tour d'horizon zu wichtigen nationalen Fragen erwartet, sondern er soll sich auch persönlich erklären. Denn auf ihm lastet der Verdacht persönlicher Bereicherung.

Kürzlich klopften erneut Untersuchungsrichter an die Tore seines Palastes und rückten ihm näher als je zuvor: Am Mittwoch vernahmen sie bereits seine Tochter Claude Chirac. Die 38-Jährige, seit Jahren wichtigste Kommunikationsberaterin ihres Vaters, sollte erklären, woher das Geld kam, mit dem ihre Familie mehrere Luxusreisen bezahlte. Von rund 2,4 Millionen Francs ist die Rede. Der Elysée-Palast erklärte, die Ausgaben für die Reisen seien um mindestens eine Million geringer gewesen.

Claude Chirac sagte, sie wisse nicht, woher das Geld stamme. Am Vortag lieferte ein anderer langjähriger Chirac-Mitarbeiter, Elysée-Berater Maurice Ulrich, den Untersuchungsrichtern mehr Details. Er sagte, die Reisen nach New York, Japan und Mauritius, die Chirac unter anderem unter den Pseudonymen „Bernolin“ und „Perac“ antrat und die er mit 500-Franc-Scheinen bezahlen ließ, seien aus „Spezialfonds“ des Premierministers finanziert worden. Aber Chirac war nur bis 1988 Premier. In der Zeit 1992 bis 1995, für die sich die Richter interessieren, residierte er längst wieder im Pariser Rathaus. Für Ulrich, der auch schon mit Chirac als Premier zusammenarbeitete, ist diese Zeitverschiebung kein Problem. Er erklärte, er habe die „Spezialfonds“ persönlich 1988 entgegengenommen und aufbewahrt. Andere enge MitarbeiterInnen Chiracs, die jetzt ebenfalls vernommen wurden, trugen nichts zur Aufklärung der Herkunft des Geldes bei. Und seine Gattin Bernadette, die die Richter auch befragen wollten, blieb bislang verschont.

Da die Untersuchungsrichter auch über die millionenschweren Bestechungssummen ermitteln, mit denen Unternehmen in Paris öffentliche Aufträge der Stadt ergaunerten, wollten sie es im Fall Chiracs genauer wissen und den Staatspräsidenten selbst hören. Der Pariser Staatsanwalt Jean-Pierre Dintilhac hat ihn bereits vorgeladen – als „belasteten Zeugen“. Auch wenn sein Vorgesetzer, Oberstaatsanwalt Jean-Louis Nadal, ganz im Sinne einer noch frischen Entscheidung des französischen Verfassungsgerichtes erklärte, der Staatspräsident könne überhaupt nicht vor ein normales Gericht vorgeladen werden. Für ihn sei lediglich – und auch nur bei Hochverrat – der Gerichtshof der Republik zuständig.

Staatsanwalt Dintilhac leitete einst das Kabinett eines sozialistischen Ministers und erstickte später Ermittlungen gegen die Sozialistische Partei (PS) wegen einer Finanzaffäre. Der zweite Staatsanwalt Nadal gilt als Gewährsmann Chiracs. Dies macht beide Juristen angreifbar und rückt sie ins Zentrum der Debatte zwischen rechts und links. Aus dem Elysée-Palast verlautet, die Affäre sei eine „politische Operation“ gegen Chirac. In der PS heißt es, der Präsident schade der Glaubwürdigkeit der Republik, wenn er sich nicht zu den Vorwürfen äußere.

Die „Spezialfonds“ standen bisher allen PremierministerInnen, MinisterInnen und Staatspräsidenten zur Verfügung. Und nie hat sich jemand darüber beklagt. Die Fonds wurden 1945 eingerichtet, belaufen sich auf mehrere hundert Millionen Franc im Jahr und dienen neben der Finanzierung französischer Auslandsgeheimdienste auch der Barzahlung heikler Missionen im Dienste Frankreichs. Erst nachdem Chiracs Reisegeldaffäre ruchbar wurde, stellte der sozialdemokratische Premier Lionel Jospin öffentlich die Frage, ob eine andere Verwendung der Fonds gestattet werden könnte.

Die Franzosen gehen davon aus, dass Jospin nächstes Jahr gegen Chirac antritt. Sie wissen, dass in Vorwahlkampfzeiten gern uralte Affären hervorgekramt werden. Den Meinungsforschern haben sie erklärt, die Reiseaffäre sei nicht ihr wichtigstes Anliegen. Sie wollen, dass ihr Präsident zur inneren Sicherheit, zur wirtschaftliche Lage und zu Massenentlassungen spricht. Affären rangieren auf Platz vier. DOROTHEA HAHN