Olympische Spiele für Peking?

JA

Olympische Spiele in Paris und Toronto dürften zweifellos eine runde Sache werden, sollte eine der beiden Städte morgen auf der IOC-Vollversammlung in Moskau den Zuschlag für das Jahr 2008 erhalten. Sowohl die französische als die kanadische Metropole bieten Flair und etablierte Lebensqualität bei eingespielten Institutionen. Für Olympische Spiele müssten Paris und Toronto auch nicht völlig auf den Kopf gestellt werden. Olympia fände dort ohne großes Risiko statt. Vielleicht drohen später noch ein paar Gewerkschafter auf den letzten Drücker mit Streiks. Auch wird wohl noch der ein oder andere Korruptionsskandal das Image beflecken, wie jüngst schon dem Chef des Pariser Bewerbungskomitees nur durch eine Kaution von 600.000 Mark die Untersuchungshaft wegen mutmaßlicher Geldwäsche erspart blieb. Ansonsten jedoch dürfte an beiden Orten der Erfolg letztlich garantiert sein.

Paris und Toronto sind auch attraktive Metropolen demokratischer Industriestaaten. Für Freunde des Megaspektakels, die auf Spielen ohne jedes Risiko bestehen, dürften als Austragungsorte eigentlich nur Städte in wohlhabenden Demokratien in Frage kommen. Doch eine solche Begrenzung auf die vermeintlich heile Welt wird wohl hoffentlich niemand ernsthaft wollen.

Beim Mitfavoriten Peking ist die Situation denn auch ganz anders. Das Bewerbungskomitee der Stadt musste schon ganz neue Luft versprechen, weil in Peking das Atmen schwer fällt. Erst massive Umweltschutzinvestititionen sollen die Spiele in der Stadt ermöglichen. China hat sich erst 1979 der Welt geöffnet, ist erst seit 1984 überhaupt wieder bei Olympischen Spielen dabei und hat sich seitdem wirtschaftlich, gesellschaftlich und sportlich rasant entwickelt – mit zum Teil erheblichen Brüchen.

Noch immer ist Chinas Verhältnis zum Rest der Welt nicht ganz normal. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass die Volksrepublik erst 2002 Mitglied der Welthandelsorganisation werden wird. In dem Land, in dem ein Fünftel der Menschheit lebt, sind auch internationale Großereignisse wie Olympische Spiele längst nicht etabliert. Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie viel Normalisierung es im Verhältnis zu einem autoritären Regime geben darf, das die Menschenrechte mit Füßen tritt.

Im Umgang mit China hat sich bei westlichen Politikern zu Recht der Ansatz durchgesetzt, das Land in die Weltgemeinschaft zu integrieren. Das soll China weiter öffnen, es berechenbarer machen und seinen Wandel durch die Heranführung an internationale Standards fördern. Dieser Ansatz, den manche aktiv durch eine Mischung aus Druck und Anreizen und andere nur halbherzig verfolgen, reduziert China nicht nur auf seine schweren Menschenrechtsverletzungen. Er erkennt vielmehr an, dass es dort jenseits mangelnder politischer Reformen einen gesellschaftlichen Wandlungsprozess gibt, der den Bürgern persönliche und wirtschaftliche Freiheiten gebracht hat.

Diesen Wandlungsprozess gilt es, weiter zu fördern und dafür immer neue Gelegenheiten zu schaffen. Eine solche Chance sind Olympische Spiele. Natürlich bieten sie dem autoritären Regime die Möglichkeit zu massiver Propaganda. Kader werden sich bereichern, während Menschen beim Bau von Sportstätten und Straßen vertrieben werden. Wanderarbeiter werden während der Spiele die Stadt verlassen müssen, und viel Geld wird unnütz verpulvert werden. Doch letztlich sind die Spiele auch eine Verpflichtung für das Regime, und zwar nicht nur dem Ausland und den Sponsoren gegenüber, sondern auch gegenüber der eigenen Bevölkerung. So können Korruptionsskandale auf die KP zurückfallen und ihre Herrschaft untergraben. Die Zeit bis zu den Spielen und besonders die zwei Wochen im Sommer 2008 schaffen eine Konstellation, in der das Regime nur noch zu einem wachsenden Preis so selbstherrlich wird handeln können wie bisher. Denn mit der Übernahme der Spiele setzt sich das unbequeme Regime dem Druck der Weltöffentlichkeit aus.

Die Spiele bieten China die Chance einer innen- und außenpolitischen Dynamik, die bei allen negatven Begleiterscheinen einen insgesamt positiven Wandel fördern kann, wie dies bei den Spielen in Seoul 1988 der Fall war. Damals wurde Südkoreas Militärdiktatur kurz vor den Spielen zum Rückzug gezwungen. Eine Garantie für diese Dynamik gibt es nicht, doch gilt es, die Chance zu nutzen und zugleich alles daranzusetzen, die Kosten zu minimieren. SVEN HANSEN

SVEN HANSEN, 40, ist Asienredakteur der taz. Als Mitglied der Segeljugendnationalmannschaft erlebte er anlässlich der Olympia-Ausscheidungen für Moskau die Debatte um den Boykott der Spiele von 1980 mit.