Filmen, ohne je zu landen

Fernsehen war für Orson Welles illustriertes Radio. Wie im Kino blieb er egozentrischer Einzelkämpfer – und wurde selten wirklich fertig. Arte zeigt TV-Arbeiten aus dem Nachlass (22.10 und 0.05 Uhr)

von LASSE OLE HEMPEL

„Do you believe in magic? Well, you do believe your eyes, don’t you? Our cameras don’t lie!“ – Orson Welles stimmt das Publikum auf seine „Magic Show“ ein. In den verschiedensten Kostümen präsentiert er seine Zaubertricks; die brennende Zigarre behält er dabei lässig in der Hand. Welles lässt eine schöne Frau verschwinden, eine andere mit scharfen Messern scheinbar durchschneiden und fängt zu guter Letzt eine abgefeuerte Pistolenkugel mit den Zähnen.

Diese „Magic Show“, an der Welles bis zu seinem Tod arbeitete, war fürs Fernsehen konzipiert. Auf dem Bildschirm ist sie aber bisher nie zu sehen gewesen, genauso wenig wie die Filme „Vienna“ und „London“, die ursprünglich für das Welles-Special „Orson’s Bag“ beim US-Network CBS gedacht waren, doch dann niemals fertig wurden.

Die heute bei Arte laufenden Kurzfilme aus Orson Welles’ Nachlass sind das einzig Neue, das die Hommage des deutsch-französischen Kultursenders (siehe taz vom 2. 7.) an das Film- und Radiogenie Welles zu bieten hat, und alle drei sind sicherlich keine Meisterwerke.

Es fehlen die Brillanz und Professionalität, die die Arbeiten des Multitalents sonst auszeichnen. Während Welles sich mit seiner souveränen und ironischen Moderation wie ein großer Showmaster gebärdet, verraten die dürftige Dekoration und diverse technische Mängel, dass hier mit dem Budget einer Independentproduktion gearbeitet wurde.

„Das Fernsehen ist für mich vor allem ein Mittel, um meinen Hang zum Geschichtenerzählen zu befriedigen“, so Welles in einem Interview mit seinem Biografen André Bazin. „Ich persönlich schwärme dafür, und ich werde nie müde Geschichten zuzuhören, und dabei mache ich den Fehler zu glauben, dass alle Welt genauso dafür schwärmt.“

Orson, der Zeichner

Seiner Leidenschaft für den Monolog konnte Welles bereits 1955 in der BBC-Serie „Orson Welles’ Sketch Book“ vollen Lauf lassen: Hier beleuchtete er im Alleingang ein einzigesThema, wobei er das Gesagte mit eigenen Zeichnungen aus dem Skizzenblock untermauerte – ein Hinweis par excellence auf seine Auffassung von Fernsehen an sich: Welles sah das Medium als „illustriertes Radio“, anders als im Kinofilm sollte hier das Wort Vorrang vor dem Bild haben.

Und wie im Kino – Arte zeigt passenderweise ab 20.45 Uhr Welles’ von den Studiobossen nachträglich stark gekürzte Familiensaga „Der Glanz des Hauses Amberson“ – konnte er es kaum ertragen, wenn ihm in seine Arbeit hineingeredet wurde. Am liebsten hatte er selbst alle Fäden in der Hand, um so auch im Fernsehen Filme und Sendungen nach seinen Vorstellungen zu machen.

Aus eigener Tasche hatte Welles bereits 1956 einen Fernsehfilm über das Leben des Alexandre Dumas finanziert, aber kein einziger Sender zeigte Interesse an einer Ausstrahlung. Zwei Jahre später beauftragte ihn die amerikanische ABC mit einem Porträt der Schauspielerin Gina Lollobrigida. Doch anstatt ein klassisches Fernsehfeature abzuliefern, umkreiste Welles sein Thema, schweifte immer wieder ab und baute lieber Anekdoten aus seinem Privatleben ein. – Der Film, den Welles dann auch mehr als Essay verstanden haben wollte, wurde am Ende nicht abgenommen. Tatsächlich litten viele seiner Arbeiten unter einem schweren inneren Widerspruch: Peter Bogdanovich hat Welles einmal treffend mit einem Erfinder verglichen, „der sein Werk vor seinem geistigen Auge und tief in seinem Herzen so klar und deutlich vor sich sieht, dass die Ausführung dagegen entäuschend abfallen muss“.

Gerade deshalb steckt in den vielen kleinen, unveröffentlichten und auch zum Teil misslungenen Arbeiten aber auch Welles’ Vision eines spontanen und unabhängigen Filmemachens. Die technische Perfektion blieb dabei oft auf der Strecke. Sie hatte hinter seinem Ziel, als Filmemacher so frei wie möglich zu agieren, zurückzustehen.

Wunschziel Publikum

Der größte Widerspruch des Orson Welles besteht nun darin, dass er trotz dieser Praxis stets ein großes Publikum ansprechen wollte. Und dieser Gegensatz ist es auch, der einige von Welles’ TV-Arbeiten heute so sonderbar unausgegoren erscheinen lässt.

Schade ist nur, dass Arte uns Welles’ gelungenere Fernsehsendungen vorenthält, wie etwa den 1958 entstandenen Kurzfilm „The Fountain of Youth“, den der Kritiker Henry Sheehan als „beste halbe Stunde in der Fernsehgeschichte“ bezeichnet hatte. Dafür präsentiert der Kultursender aber die letzte filmische Selbstinszenierung des Orson Welles: Kurz vor seinem Tod 1985 rezitiert er einen Text des Atlantikfliegers Charles Lindbergh. Und wie dieser wollte auch Welles immer neuen Horizonten entgegenfliegen, ohne je zu landen.

Die künstlerische Freiheit blieb sein oberstes Ideal, auch wenn, wie er in einer Dankesrede selbst einmal zugab, seine Arbeiten darunter zu leiden hatten: „Hätte ich meine Filme nicht als Einzelgänger gemacht, wären sie vielleicht besser geworden. Auf keinen Fall wären sie aber noch meine gewesen.“