Klar wie Kieselsteine

Das Gedicht ist kein Fitnessstudio: In der Literaturzeitung „intendenzen“ halten elf junge Autoren ihren Gedichten eine Autopoetik entgegen

von JÖRG PETRASCH

Ein Gedicht stemmen und dabei in Schweiß ausbrechen? Nö, so sollte es nicht sein, denn: „Das Gedicht ist kein Fitnessstudio.“ Der Lyriker Jan Wagner setzt vielmehr auf Eingängigkeit. Dadurch werde das Gedicht nämlich nicht banaler, sondern es verstecke seine Kunstfertigkeit nur besser.

Wagner ist einer von elf jungen, hauptsächlich in den Siebzigerjahren geborenen Autoren, die sich in der aktuellen Frühjahrsausgabe („Poesie & Poetik“) der Literaturzeitschrift intendenzen mutig folgender Aufgabe stellen: den eigenen Gedichten den Spiegel einer Autopoetik entgegenzuhalten und dabei, wie es im Editorial heißt, „Poesie trotz aller Ungewissheiten bestimmbarer zu machen“.

intendenzen wurde 1997 im studentischen Umfeld der Uni Jena gegründet und erscheint zweimal im Jahr mit einer Auflage von 1.500 Exemplaren. Ursprüngliches Bestreben war es, in der Region Jena/Weimar/Erfurt ein literarisches Publikationsorgan für junge, noch unbekannte Autoren zu schaffen. Das Augenmerk lag und liegt dabei auf Texten mit neuen, unkonventionellen sprachlichen Formen, Stilen und Inhalten. So konnten neben den „geförderten“ jüngeren auch ältere, bereits etablierte Autoren wie Reinhard Jirgl, Friederike Mayröcker, Bert Papenfuß, Ulrike Draeser oder Enno Stahl gewonnen werden.

Mit dem Umzug des 27-jährigen Herausgebers, Literaturwissenschaftlers und Lyrikers Ron Winkler nach Berlin versucht die junge Zeitschrift sich derzeit vom universitären Stützkorsett Jenas zu befreien. Die Zeitschrift versteht Winkler trotz seines Umzugs aber als örtlich ungebunden. Was wiederum seinem persönlichen Unbehagen gegen jegliche Kategorisierung seiner Generation entspricht. Winkler glaubt, dass die „ostdeutsche Diktatur“ die in den Siebzigern geborenen Autoren nicht mehr wesentlich habe prägen können.

intendenzen, meint Winkler, sei ein Experiment, um herauszufinden, ob die Poesie einer jungen Autorengeneration auch hinsichtlich ihrer „Entstehungsprozesse, Möglichkeiten und des literaturhistorischen Backgrounds“ hinterdacht wird. Das klingt erst mal nach schwerer Kost, aber es liest sich dann doch anders. „Das Gedicht braucht gar keine festgelegte Poetik“, schreibt Björn Kuhligk, und für den Autor mit dem kurzen und bündigen Namen Crauss ist die Autopoetik die „lehre vom versuch, sich etwas vorzumachen“.

So sind dann elf poetologische Essays entstanden, die – illustriert mit je zwei bis drei ausgesuchten Gedichten – ein kontrast- und spannungsreiches Gesamtbild von Theorie und Praxis bieten und dabei einen interessanten Einblick in das künstlerische Selbstverständnis einer jungen Dichtergeneration verschaffen.

Die Poetiken reichen von vier Sätzen eines Alexander Gumz: „Ich wollte immer Gedichte schreiben, die so klar und unverständlich sind wie Kiesel“, bis zu einem fünfseitigen, die eigenen Gedichte an Kraft und Komplexität weit übertönenden Posaunenstoß „Der Kreuzzug der Poesie“ eines Hendrik Jackson.

Mit Vergnügen schmökert man in subjektiven, stilistisch ausgefeilten, teils ironischen („Kalauer machen mir grossen Spass, aber ich schreibe keine“) oder thesenhaft-konzentrierten Versuchen: „Das Schreiben ist das Forschen nach dem Schreibenkönnen“ (René Hamann).

Am charmantesten zu lesen und trotzdem informativ ist der Text „autoPSI“ des in Siegen lebenden Crauss. Er bezeichnet seinen Schreibstil als „literarischen remix“. In seiner Poetik übersetzt er mit einfachen Worten in Literatur, was Poptheoretiker wie Diedrich Diederichsen seit Anfang der Neunzigerjahre für die Musik beschrieben haben.

Für Crauss liegt der eigentlich künstlerische Akt eines „remix“ in der bewusst gestalteten Sinnveränderung einer „Neuabmischung“. Neben der Übertragung „audiovisueller verfahren auf literatur, beispielsweise samplen, schneiden und verkettetem wiederholen von eigen- und fremdmaterial“, führt Crauss als sein wichtigstes Stilmittel die „permutation“ ein: das Vertauschen und Hinzufügen von Textstücken. Dies geschieht „scheinbar zufällig, in wirklichkeit aber streng nach takt und rhythmus“. So entstehen Text-Kompositionen, die den Leser geradezu drängen, sie laut zu lesen. Schnell spürt man den Flow der Zeilen und ist mittendrin, im Rap.

Die nächste Ausgabe von „intendenzen“ ist für das Ende des Jahres geplant. Wie genau das neue Heft inhaltlich und thematisch aussehen wird, ist noch ungewiss. Das macht aber nichts. Denn eine Zeitschrift mit kleiner Auflage besitzt einen Trumpf: Flexibilität und die Möglichkeit, auf aktuelle Wissensbedürfnisse reagieren zu können.

„poesie & poetik“ für 8 Mark zu erhalten unter: E-Mail: intendenzen@gmx.de, Internet: www.intendenzen.de