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: Ganzheitliche Verblödung?

In der Psycho- und Alternativheilerszene tummeln sich Verfahren, die auf irrationalen Glaubensvorstellungen beruhen, die von ihren Vertretern mit teils fanatischer Vehemenz gegen jedes vernünftige Argument verfochten werden. Esoterische Denkmodelle greifen rapide um sich.

Nicht nur altbekannte Verfahren wie Astrologie, Hellsehen oder Tarotkartenlegen erleben einen seit Jahren anhaltenden Boom, selbst ursprünglich nur Insidern bekannte Namen und Begriffe wie I Ging, Kabbala oder Runenmagie sind heute weiten Kreisen geläufig. Allenthalben werden PSI- oder transpersonale KI-Kräfte entwickelt, Chakren werden gelesen, Bachblüten- und Kristallessenzen verabfolgt. Man pflegt Kontakte zu Verstorbenen oder zu Schutzgeistern aus jenseitigen Sphären; bevorzugt auch zu extraterrestrischen Wesen, die in Ufos die Erde umkreisen oder von irgendwelchen Planeten aus ihre Botschaften senden. Germanische und keltische Vorstellungen tauchen da auf, daneben buddhistische, taoistische oder indianische: ein schier undurchdringlicher Wirrwarr ideologischer, religiöser und kultureller Versatzstücke.

Alle Augenblicke taucht irgendein Heilskünder mit irgendeinem neu zusammengebastelten Konzept auf. Die meisten davon verschwinden nach kurzer Zeit sang- und klanglos wieder in der Versenkung, einige davon, meist importiert aus den USA, erlangen indes nachhaltigere Bedeutung.

Zu den derzeit angesagten Verfahren zählt „The Work“, erfunden von einer kalifornischen ehemaligen Immobilienmaklerin namens Byron Katie (geboren 1943). Das Ganze besteht aus einem simplen Fragebogen, über dessen Beantwortung das Wahrnehmen von Missständen zu einem Eingeständnis eigener Defizite umgebogen wird. Erst die Aufgabe jedweden Widerstands führe zu „Erfüllung und Freiheit“. „The Work“ ähnelt insofern dem TNI-Programm Frank Natales, das seinerseits dem Bodensatz der Botschaften Werner Erhards (est) und L. Ron Hubbards (Scientology) entstammt; auch Harry Palmers pseudophilosophische Spruchbeutelei (Avatar) klingt an.

Nach wie vor in ist auch das Handauflegeverfahren des Reiki, basierend auf dem Erleuchtungserlebnis eines japanischen Mönchs Ende des 19. Jahrhunderts, bei dem „kosmische Heilenergie“ auf den Patienten herabgeleitet wird. Exakt 385 Problembereiche seien mit Reiki behandelbar, von Allergien und Asthma über Haarausfall, Hühneraugen bis hin zu Tuberkulose, Tumoren und Typhus. Auch Feng-Shui,die fernöstliche Lehre des Vertreibens böser Energien aus Wohnräumen, ist sehr en vogue. Desgleichen angesagt ist, was irgendwie „tibetisch“ daherkommt.

Der Umsatz der Szene liegt bei schätzungsweise 20 bis 25 Milliarden Mark pro Jahr.

COLIN GOLDNER