Spaghetti bei Alberto Korda

Der Fotograf wurde durch das Jahrhundertfoto von Che Guevara, das auf Plakaten und T-Shirts millionenfach reproduziert wurde, berühmt. Er starb am 25. Mai in Paris. Eine Erinnerung an ein Abendessen mit dem revolutionären Lebemann

Korda tänzelte, in Shirt und Shorts gekleidet, mit einem Sieb für die Spaghetti durch sein Wohnzimmer in Havanna Miramar, in dem nichts an sein berühmtes Porträt von Che Guevara erinnerte. Sein Glas Rum hatte er bereits abgestellt. Im Haus des Revolutionsfotografen ging der Zuckerrohrschnaps nie aus. Neben Marisa und Matilde, zwei kubanischen Models, waren einige seiner Gäste Europäer auf der Durchreise von Nicaragua nach Hause. Gesprächsthema Nummer eins: Die Sandinistas hatten die Wahlen verloren.

Korda, damals Anfang sechzig, ausgemergelt wie eh und je, rauchte, trank und schwätzte aufgeregt. Seine zwanzigjährige Lebensbegleiterin – porzellanfarbener Teint, von Beruf Schauspielerin – umflatterte ihn. Korda hatten schöne Frauen von jeher mehr interessiert als Politik, Revolution hin oder her. Natürlich war nach 1959 im socialismo tropical die Modefotografie weniger gefragt, durch die Alberto Díaz Gutierrez, geb. 1928, im Glanze des Batista-Regimes zu Ruhm gelangt war.

Seine erste Frau, Natalia Menendez, Kampfname Norka, war in den Fünfzigerjahren sein Lieblingsmodel gewesen. Fidel Castro persönlich spannte ihm die Frau aus, die in den Sechzigerjahren als erstes kubanisches Model überhaupt die internationalen Laufstege nutzte, um die Revolution in die Welt zu tragen. Das führte offenbar zu keinen weiteren Spannungen zwischen den beiden Männern, denn Fidel Castro persönlich wählte Korda kurze Zeit später zu seinem persönlichen Fotografen.

Zehn Jahre begleitete Korda den máximo líder auf all seinen Reisen. Dabei schoss er spektakuläre und weniger spektakuläre Bilder. „Das berühmte Foto von Ernesto Che Guevara entstand eher zufällig bei einer Beerdigung“, erklärte Korda. Ein französisches Schiff voll Munition war im Hafen von Havanna von Antirevolutionären in die Luft gesprengt worden. 1960 ahnte Korda nicht, dass er das Foto gemacht hatte, das nach dem Tod des „Guerillero Heroico“ 1967 weltweit am meisten gedruckt werden sollte. Honorare sah der Fotograf bis 1995 dafür nie, denn in Kuba waren Urheberrechte unbekannt. Er kassierte ab und zu mal 200 Dollar für handsignierte Ches.

In den Sechzigerjahren war Korda dicht dran: Che mit nacktem Oberkörper beim Angeln, Che im Kampfanzug bei dem Versuch, einen Golfball ins Loch zu schieben, bei einem Stelldichein mit Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, oder Fidel mit Bauchansatz bei der Zuckerrohrernte, Fidel, wie er die Chruschtschows fotografiert, Fidel am Boden, Fidel vor einem Abgrund, Fidel und Che beim Schachspielen – Korda zeigte neben der offiziellen auch die menschliche Seite der beiden Revolutionshelden.

Endlich, die Spaghetti landeten auf den Tellern der Gäste. Die beiden schwarzen Schönheiten drehten die langen Nudeln so auf die Gabel, dass sie im Mund bequem Platz fanden. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hatte man auf der Zuckerinsel den Laufsteg wiederentdeckt; gut für Korda, der es sich nicht nehmen ließ, wieder bei dem ein oder anderen Event zu fotografieren, wo nicht das Volk Modell stand. Und die ein oder andere Schönheit zum Abendessen einzuladen. Marisa und Matilde hatten dankend angenommen, schon wegen der ausländischen Gäste. Und wer wusste, was sich außer dem üblichen verbalen Austausch sonst noch ergab? Paris, New York . . .

Was hatte Korda eigentlich zur Revolutionsfotografie gebracht? Natürlich war Korda zwischen schönen Frauen und Politik hin- und hergerissen. Vor der Revolution hatte er schon immer auf der Straße fotografiert. Den letzten Anstoß gab ihm „dieses Mädchen, das das Stück Holz im Arm ,mein Baby‘ nannte. Sie überzeugte mich, für die Revolution zu arbeiten, damit diese gesellschaftlichen Ungleichheiten ein Ende finden“, notierte Korda 1997 handschriftlich neben dem besagten Foto in dem italienischen Fotoband „Alberto Korda – Diario de una Revolución“ (Edizioni Aurora).

Rum und Rumba, und nun noch feste Nahrung in den Magen. Ob das half, den glasigen Blick zu klären? Marisa brachte den französischen Schreiber mit der charmanten Aussprache ihrer fünf französischen Brocken zum Lachen, der spanische Knipser verunsicherte die Runde mit wirrem Geschwätz, der exilchilenische Fotograf probierte es bei seiner schönen Nachbarin: Wie zufällig streiften seine Fingerspitzen ihren Rücken. Sie erschauderte. Wer mit wem und wie in welchem Hotel landete, das vermag heute niemand mehr mit Sicherheit zu sagen.

ELKE KRÜGER

Alberto Korda bereitete gerade in Paris eine Ausstellung für 2002 vor, als er am 25. 5. 2001 einem Herzinfarkt erlag. Mit 72 Jahren war Korda so alt wie Che Guevara jetzt wäre, wenn man ihn nicht ermordet hätte. Korda war über seine internationalen Kontakte besonders in Frankreich bekannt geworden.