Auf in die echte NFL!

Mit Blick auf ihre US-Karriere spielen die Footballer von Berlin Thunder und Barcelona heute die World Bowl aus

BERLIN taz ■ Heute Abend, kurz vor 18 Uhr, wird Johan Cruijff eine Münze auf den Rasen der AmsterdamArena werfen. Die Fußball-Legende wurde geladen, um der World Bowl, dem Finale der Football-Liga NFL Europe, zum Abschluss noch einmal ein wenig Glanz zu verleihen. Denn immer noch ist der Ableger der NFL ein Zuschussgeschäft für die reichste Profiliga der Welt, halten sich außer in Frankfurt und Düsseldorf die Zuschauerzahlen weiter im überschaubaren Rahmen. Nachdem per cruijffschem Münzwurf entschieden wurde, welches Team als Erstes den Ball erhält, obliegt es den Barcelona Dragons und Berlin Thunder, bitter nötige Werbung für den Sport-Import zu machen.

Da werden die Liga-Verantwortlichen nicht unglücklich sein, dass sich die beiden Teams mit den spektakulärsten Angriffsreihen fürs Endspiel qualifiziert haben. Die Dragons spielten dank Running Back Mike Green, der zum besten Offensiv-Spieler der Saison gewählt wurde, den Rest der Liga in Grund und Boden; Thunder setzt vor allem auf Jonathan Quinn, den statistisch gesehen besten Quarterback der Liga. So schaffte Barcelona im Laufe der Saison den größten Raumgewinn, Berlin erzielte die meisten Punkte und Quinn warf mit Abstand die meisten Touchdown-Pässe.

Die beiden bisherigen Spiele zwischen Berlin und Barcelona waren zwar recht einseitige Angelegenheiten zugunsten der Katalanen, aber beide Teams boten ein offensives Feuerwerk. Der 55:35-Sieg der Dragons in Barcelona ging gar in die Liga-Annalen ein: So viele Punkte in einem einzigen Spiel wurden noch nie zuvor in der 10-jährigen Geschichte des NFL-Klons erzielt. So geht Berlin zwar als Außenseiter ins Finale, allerdings fanden die beiden Niederlagen gegen die Dragons in der ersten Hälfte der Saison statt. Zuletzt zeigte die Verteidigung sehr viel bessere Leistungen.

So unklar der Ausgang der World Bowl, so sicher scheint es, dass weder Quinn noch Smith eine weitere Saison in Europa spielen werden. Vornehmste Aufgabe der NFL Europe ist neben dem Werbeeffekt fürs Mutterhaus nun mal, in den USA bereits einmal gescheiterten Spielern die nötige Matchpraxis für die große Show zu Hause zu verschaffen.

Egal, wie die World Bowl ausgeht, Jonathan Quinn wird mit überragenden Statistiken zum Trainings-Camp seines Stammvereins, den Jacksonville Jaguars, reisen. Dort wartet auf den 26-Jährigen mit Mark Brunell allerdings einer der besten Quarterbacks der NFL und wohl eine weitere Saison als Bankdrücker. Zudem ist Quinn ein Spielmacher der alten Schule, der extrem abhängig ist von einer guten Offensive Line, die ihm genug Zeit geben muss, um seine langen Pässe anbringen zu können. Kommt er in Bedrängnis, hat er mit seinen 1,99 Meter und 110 Kilo Schwierigkeiten, den gegnerischen Verteidigern zu entkommen. Dieser eindimensionale Quarterback-Typus ist in der NFL momentan am Aussterben. Auch Danny Wuerffel, der im vergangenen Jahr sogar noch einen Touchdown-Pass mehr warf als Quinn und mit Düsseldorf Rhein Fire die World Bowl gewann, hat sich anschließend keinen Stammplatz erkämpfen können.

Unlängst verkündete Peter Vaas, Trainer von Thunder, dass man Quinn, so leid es ihm tue, wohl kaum noch einmal in Berlin sehen werde. Er sei überzeugt, dass dem Quarterback nun eine glänzende NFL-Karriere bevorstehe. In der NFL sind aber eher schnelle, bewegliche Quarterbacks wie Steve McNair von den Tennessee Titans oder Daunte Culpepper von den Minnesota Vikings gefragt. Spieler, die auf dem Boden fast noch gefährlicher sind als durch Pässe. Für solche Spieler muss eine Verteidigung schon einen Mann abstellen, der sich fast nur um die Bewachung des Quarterbacks kümmert und dann im Deckungsschema fehlt. Diesem Idealbild entspricht schon eher Quinns Gegenüber bei Barcelona: Jarious Jackson hat in dieser Saison zwar nur halb so viele Touchdowns erworfen wie Quinn, ist aber ungleich mobiler und auch als Läufer eine ständige Gefahr. Es kann also gut sein, dass sich Quinn in ein paar Monaten wehmütig an seine Auftritte im Berliner Jahn-Stadion zurück erinnert, wo nach jeder gelungenen Aktion Manfred Mann’s „Mighty Quinn“ aus den Lautsprecherboxen dröhnte.

THOMAS WINKLER