„Chinas KP wird nicht lange überleben“

Am Wochenende wird Chinas Kommunistische Partei 80 Jahre alt. Die chinesische Journalistin und Dissidentin Dai Qing blickt skeptisch in die Zukunft

taz: An diesem Sonntag begeht Chinas Kommunistische Partei ihren 80. Geburtstag. Hat sie Grund zum Feiern?

Dai Qing: Ich kann mir keinen Grund zum Feiern vorstellen. Meine Eltern gehörten zur ersten Generation der KP und ließen mich in einem Internat der Partei erziehen. Später wurden mir die Augen geöffnet, und heute tut mir mein Vater Leid, der für die Sache der Partei gestorben ist.

Hat die KP noch Zukunft?

Das Verbindungsbüro der KP hat in der Vergangenheit immer so genannte Bruderparteien zu Parteiereignissen eingeladen. Aber jetzt wurden nicht die kommunistischen Parteien Vietnams oder Nordkoreas geladen, sondern vor allem sozialdemokratische aus Europa. Das könnte bedeuten, dass Jiang Zemin die Ausrichtung der Partei ändern und aus ihr eine sozialdemokratische Partei machen will.

Ist das realistisch?

Ich glaube nicht. Jiang Zemin möchte sich wohl das sozialdemokratische Etikett umhängen, aber eine sozialdemokratische Partei steht auch für Demokratie und kümmert sich um die Schwachen. Die KP war leninistisch und bestand auf Klassenkampf, mittlerweile verfolgt sie die Privatisierung des Staatseigentums in den Händen einiger Weniger. Zu denen gehören die Söhne der Parteiführer, während die sozialen Aspekte völlig vernachlässigt werden.

Die KP bereitet sich auf einen Generationswechsel vor, der auf dem 16. Parteitag im September 2002 stattfinden soll. Sind von der neuen Führung Reformen zu erwarten?

Der künftige Parteichef Hu Jintao ist 59 Jahre alt und gehört zur Gruppe technischer Bürokraten von der Eliteuniversität Qinghua. Ich glaube nicht, dass er genug Erfahrung als politischer Führer hat. Er hat sich darin ausgezeichnet, dass er nichts Eigenes gesagt hat, sondern nur Anweisungen umsetzte. Er wirkt im Vergleich zu den Propagandisten gemäßigt. Doch er ist vom Typ her keine Schlüsselfigur, die Reformen durchsetzt.

Nur noch wenige Chinesen glauben an den Kommunismus. Welche Rolle spielt heute der Nationalismus?

Nationalismus hat in China eine längere Geschichte als der Kommunismus. Während von den KP-Mitgliedern niemand einen Grund hat stolz zu sein, meinen einige Chinesen, dass sie es als Chinesen sein könnten. Während die KP in ihrer über 50-jährigen Herrschaft fast alles zerstört hat, wollen einige zeigen, wie stolz sie auf China sind.

Angenommen, Peking bekommt die Olympischen Spiele 2008: Wird dies den Nationalismus fördern oder zur weiteren Öffnung Chinas beitragen?

Die Vergabe der Olympischen Spiele an Peking wäre ein Sieg für den Nationalismus. Den lehne ich ab, weil er radikal und nicht vernünftig ist. Die Spiele bieten einigen Leuten Gelegenheit, viel Geld durch Korruption zu verdienen. 1990 gab es bereits im Zusammenhang mit den Asienspielen in unserem Land viel Korruption, worüber die Medien bis heute nicht berichtet haben. Ich bin sehr gegen die Spiele in Peking, weil die negativen Auswirkungen stark überwiegen werden. Als Pekinger Bürgerin sehe ich zwar, dass wir breitere Straßen und einige Grünflächen bekommen werden, weil die Zentralregierung 50 Milliarden Dollar in Peking ausgeben will. Aber das Geld fehlt dann woanders.

Die KP sagt, sie wäre die einzige Kraft, die China zusammenhalten kann. Kann der Zentralismus die Probleme lösen?

Ich halte ein föderales System für den einzigen Weg, um China und selbst die KP vor Korruption, neuen Rebellionen und der völligen Zerstörung der Umwelt zu retten. Die Details müssen zwischen den verschiedenen Ebenen ausgehandelt werden. Wichtig ist, dass lokale und regionale Führer vor Ort gewählt statt von Peking ernannt werden.

Wie lange wird sich die KP noch an der Macht halten können?

Ich glaube nicht, dass sie lange überleben wird. Schon wenn ich mit Freunden über die Olympischen Spiele spreche, weiß niemand, wie die Situation in Peking 2008 sein wird.

Wie sollte das politische System transformiert werden?

Die großen modernen Gebäude in Peking, die breiten Straßen, die ausländischen Konzerne sowie Internetnutzung bedeuten noch nicht, dass China eine moderne Gesellschaft wird. Dafür bräuchten wir dringend eine neue Aufklärungsbewegung, basierend auf persönlichen Freiheiten und Grundrechten.

INTERVIEW: SVEN HANSEN