Ein Perser und zwei schöne Frauen

Wladimir Kaminer ist längst ein etablierter Literaturstar. Dabei erschien sein erster Text erst 1998. In der taz

von GERRIT BARTELS

Wladimir Kaminer ist ein Geschichtenerzähler. Da reicht schon ein kleines, unscheinbar aussehendes Visitenkärtchen, das aus seinem Portemonnaie fällt, und schon fängt er an zu erzählen, wie er in den Besitz des Kärtchens gekommen ist.

Es ist eine lange Geschichte von einem frühen Morgen, als er und sein Kollege Juri Gurzhy nach einer langen Russendisko-Nacht in einem Imbiss auf der Schönhauser Allee in Berlin diesen Typ trafen. Der war in Begleitung zweier schöner Frauen, „sah aus wie ein Türke und machte den Eindruck, als hätte er mächtig was zu sagen“. Es war aber gar kein Türke, sondern „wahrscheinlich ein Perser aus Aserbaidschan“ und wie die Geschichte ausgeht, möchte man schon gerne wissen. Aber Kaminer ist noch nicht dazu gekommen, sie aufzuschreiben.

Denn Kaminer (33) ist nicht nur Geschichtenerzähler, sondern in erster Linie taz-Autor und Schriftsteller: „Russendisko“ heißt das Buch, das ihn letztes Jahr zu einem der erfolgreichsten Debütanten im Literaturbetrieb werden ließ. Benannt nach dem Clubabend, den er und Gurzhy jeden Monat im Berliner „Kaffee Burger“ veranstalten.

Bevor Kaminer aber mit „Russendisko“ ein Literaturstar wurde, dauerte es seine Zeit. 1990 setzte er sich mit einem Freund in einen Zug, um für 96 Rubel in die damals gerade noch existierende DDR zu fahren, „damals der geheime Reisetipp für Faule und Arme“. Kaminer kam, blieb, wurde in ein Ausländerheim nach Marzahn überwiesen und landete schließlich am Kollwitzplatz. Dort lebt er seit elf Jahren und hat, wie er es an einem trüben Sommertag im Kollwitzplatz-Café „Anita Wronski“ alles andere als ironisch zu Protokoll gibt, „hier schon in jedem zweiten Haus gewohnt“.

Er arbeitete als Theatertechniker, inszenierte selbst auf einem Theaterschiff, war mal arbeitslos, mal nicht. Zum Schreiben kam er erst 1998, und das eher zufällig. Nachdem er in einem Café einen Vortrag über neue russische Literatur gehalten hatte, sprach ihn taz-Autor Helmut Höge an. Ob er nicht was für die taz schreiben wolle. „Ich sagte ihm, dass ich nicht wüsste, was ich schreiben sollte“, sagt Kaminer. Höge erwiderte: „Vollkommen egal. Jetzt ist Weihnachten, schreib, wie die Russen Weihnachten feiern.“ Er habe dann, sagt Kaminer weiter, noch gesagt, dass Russen nicht Weihnachten feiern. Aber Höge meinte: „Schreib es trotzdem.“

Sein erster Text: „Wodka“

So erschien kurz vor Weihnachten 1998 Kaminers erster Text in der taz: „Wodka, rasiert“, eine Geschichte darüber, wie Weihnachten in Russland gefeiert wird, „als eine Art Fortsetzung zum Silvester-Deliriumsprogramm“.

Seitdem schreibt Wladimir Kaminer regelmäßig seine Kolumne „Intershop“ auf den regionalen und überregionalen Berlin-Seiten sowie Kurzgeschichten für die taz.

Es sind Geschichten über russische Musik, über Frauen, die sich in Carlos Castaneda verlieben, über die Schönhauser Allee, wo er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in einer Dreizimmerwohnung wohnt, über die Menschen in seiner Umgebung, ganz gleich ob das Vietnamesen, Türken, Deutsche oder Russen sind, über die Beziehungen der unterschiedlichster Menschen.

Oft sind diese Geschichten grotesk und komisch, oft wahr, oft lehrreich und nie so ironisch, wie sie manchmal wirken. „Alltagsbewältigungsprosa“ hat er sie mal genannt, genervt von der guten, alten, überflüssigen, aber trotzdem immer wiederkehrenden Frage, was nun authentisch an ihnen sei und was ausgedacht.

Kaminer versucht sie immer wieder zu umgehen, indem er sagt, er nehme die Literatur nicht ernst, er wolle vor allem sich beim Schreiben unterhalten. Das ist gut für ihn und gut für seine Leser. Langeweile jedenfalls, um es mal mit den Deutschrockern Selig zu sagen, besäuft sich in ihnen nie – ob in „Russendisko“, in seinem neuen Roman „Militärmusik“ („ein Entwicklungsroman ohne Entwicklungen“) oder eben in der taz. Die taz, sagt Kaminer, dürfe man mit anderen Zeitungen gar nicht vergleichen: „Die taz ist für mich immer noch ein Projekt, und sie ist einzigartig.“ In deren Rudi-Dutschke-Haus in der Kochstraße findet sich Kaminer fast jeden Sonntag ein, um mit Helmut Höge zu rauchen, zu plauschen, neue Ideen auszutauschen und neue Geschichten zu schreiben.

WLADIMIR KAMINER liest am Sonntag, 29. Juli, beim taz-sommer-salon – mit Musik und Russendisko! MORGEN (18 Uhr) im taz-sommer-salon: Der tote Taucher. Livekrimi. Im Freischwimmer, Berlin-Kreuzberg.Karten: (08 00) 2 48 98 42