Austoben auf hoher See

Im Kampf um den Sportplatz Natur stellt die Freizeitindustrie endlich Ausgleichsflächen zur Verfügung. Naturschutz und Natursport stehen im Einklang: An Bord werden schließlich weder Tiere geängstigt noch Rote-Liste-Pflänzchen zertreten

von GERHARD FITZTHUM

Auch in heimischen Fluren und Wäldern drängen sich Zeitgenossen, die das Leistungsdenken des Berufsalltags gerne noch in die Freizeit mitnehmen. Im Forst toben nun Jogger und Mountainbiker um die Wette, und auch das offene Gelände ist zum Sportfeld geworden: Neoprenversiegelte Surfer jagen über einstmals ruhige Wasserflächen dahin, behelmte Wildwasserkanuten tummeln sich auf kleinsten Rinnsalen, und von jedem Hügelchen stürzen sich angehende Gleitschirmpiloten ins Abenteuer.

Die Schuld gibt man gewöhnlich dem Outdoor-Marketing: Es verführe unschuldige Stadtmenschen zur trendsportlichen Verkleidung und zum massenhaften Sturm auf die Natur. Die übliche Übertreibung selbst ernannter Naturschützer! In Wahrheit löst die Freizeitindustrie auch die Platzprobleme, die sie erzeugt, allen voran die Kreuzfahrtbranche und ganz besonders die Royal Caribbean International.

Die „Voyager of the Seas“ und die „Explorer of the Seas“, die beiden letzten Schiffe, die die Großreederei zu Wasser ließ, bieten so viel Platz, dass sich mehrere tausend Menschen gleichzeitig unter freiem Himmel austoben können. An Deck findet sich außer einem Basketballfeld auch ein Inline-Skater-Track, eine Schlittschuhbahn und eine Felskletterwand, an der Aktivsportler nun endlich auch offshore ihren Adrenalinumsatz sicherstellen können.

Ein tolles Freizeitangebot, ohne Zweifel. Zu bemängeln wäre allenfalls, dass es nicht weit genug geht: Es fehlen das Terrain für Eiskletterer und die nötige Canyoning-Ecke! Auch scheint man die 63 Meter hohe Reling Bungee-Jumpern vorenthalten zu wollen. Und was ist eigentlich mit den Bedürfnissen der Downhill-Biker, die sich über steilste Treppen immerhin fünfzehn Decks hinunterstürzen könnten?

Schon gut, schon gut! Solche Vorschläge werden alle die auf die Palme bringen, die eine Seereise immer noch für eine Entspannungsübung halten, bei der man endlich einmal gar nichts tun muss und seine Seele baumeln lassen kann. Für solche Saurier des Freizeitbetriebs wird es in der Tat ungemütlich, das kann gar nicht bestritten werden.

Trösten könnte jedoch die Tatsache, dass Naturschutz und Natursport in diesem Fall einmal wirklich im Einklang stehen: An Bord werden schließlich weder frei lebende Tiere geängstigt noch Rote-Liste-Pflänzchen zertreten oder zerradelt. Zudem entspricht die Freizeitgestaltung auf einem schwimmenden Abenteuerspielplatz dem „Prinzip der kurzen Wege“, das auch vom Deutschen Sportbund eingeklagt wird: Die Einrichtungen liegen hier naturgemäß ganz dicht beieinander, die ökologisch bedenkliche Autoanfahrt entfällt.

Überdies wäre es kein Problem, den sportiven Trubel an Bord zu entflechten und nervige Nutzungskonflikte auszuschließen. Der Ozeanriese könnte einfach noch ein paar künstliche Freizeitinseln in Schlepptau nehmen, aufgereiht nach der optischen und akustischen Aufdringlichkeit der jeweiligen Sportart. Zuerst käme das Eiland mit dem Parcours für leise vor sich hin ächzende Jogger, dahinter die schwimmende Plattform mit abschüssigen Schotterwegen für die neuen Rollerbiker und ganz hinten, am Horizont, der originalgetreue Nachbau der Rennstrecke von Le Mans, wo die Schumi-Fraktion sorglos ihre Runden drehen könnte. Abends könnte man die Taue einfach wieder einziehen, und alle wären glücklich und zufrieden: Frauen, Kinder, Alte und Verletzte hatten tagsüber ihre Ruhe, und die Helden der Freizeit Kick und Spaß. Rechtzeitig zum Abendessen säßen sie wieder neben Gattin oder Mutti am Tisch und könnten sich für das nächste Abenteuer unter freiem Himmel stärken.

Zuletzt würde sogar der klassische Kreuzfahrer profitieren. Denn je mehr Outdoor-Freaks das geordnete Idyll nautischer Natursportarenas schätzen lernen, desto weniger werden in Zukunft noch das Festland unsicher machen. Wer sich wirklich erholen will, könnte im nächsten Urlaub einfach zu Hause bleiben und Feld-, Wald- und Wiesenwege frei von wild gewordenen Freizeitkarrieristen finden. Sind das keine Aussichten, für die erst einmal ein bisschen zu leiden sich lohnt?

Info: Royal Caribbean Cruise Line A/S, Kenneddyallee 87, 60596 Frankfurt, Tel. (0 69) 92 00 71-0, Fax (0 69) 92 00 71-92, www.rccl.com