truth or dare
: Eine Woche mit Madonna

Der Abschied

Die Fragen sind schwer zu beantworten: Was bleibt von einer Woche Madonna in Berlin? Was für ein Fazit gibt es? Gibt es überhaupt eins? War da noch was, außer vier perfekten Konzerten? Oder hat Madonna sich etwa gar nicht richtig durchgesetzt gegen die zugegebenermaßen starke Konkurrenz der Berliner Politiker. Wer war stärker die Woche und hat Berlin mehr bewegt: Wowereit, Gysi, Steffel, Klotz und Kohl? Oder doch Madonna?

So genau wusste man das nicht mal auf dem Boulevard zu sagen, auf dem man es eine Woche lang rechtschaffen, aber irgendwie glücklos mit Madonna versuchte. Madonna im „Four Seasons“, nun gut, aber perfekt abgeschirmt war sie. Bild und B.Z. mussten mit Rocco, Lourdes und den Nannys vorlieb nehmen, wie sie einkaufen und spazieren gingen, wie sie Heißluftballonfahrten unternahmen; oder mit dem Arzt, der mal vorgelassen wurde wegen einer angeblichen Pharyngitis.

Ein Segen der spielfreie Donnerstag, an dem Madonna zusammen mit Gwyneth Paltrow immerhin in der Kirchner-Ausstellung in der Nationalgalerie war! Wenigstens einmal mischte sie sich unters Berliner Volk, wenigstens einmal sah sie aus wie ein „Berlin-Touri“. Madonna ist eben doch eine von uns.

Aber was war nun eigentlich mit Guy Ritchie? Wo steckte der? Warum ging Madonna abends nicht mehr aus? Sind vier Konzerte so eine schwere Arbeit? Was war mit dem Rock’n’Roll-Lifestyle? Und was war eigentlich mit Johanna und ihrem Sexangebot? Da standen die Konzerte plötzlich doch wieder im Mittelpunkt der Berichterstattung: „das Konzert in Bildern“, die Angst, dass was schief gehen könnte wegen der Laryngitis (Pharyngitis? Kamillentee? Pfefferminztee? Grüner Tee?), der „Madonna-Schock“ (B.Z.).

Da, wo der Boulevard nicht zu Hause ist, war man nicht viel weniger aufgeregt, da fuhr man nach dem ersten Konzert auch noch mal richtig auf. Die Berliner Zeitung machte die Seite 3 frei, FR und Tagesspiegel die erste Kulturseite, und auch die SZ ging nach der Barcelona-Review noch mal auf ihrer Berlin-Seite ran (nur taz und FAZ blieben einigermaßen cool). Fazit fast aller: Zu perfekt, zu durchgestylt, zu seelenlos, wie MTV, wie aus der Konserve, Madonnas Gitarrenspiel meilenweit entfernt „von den glasharten und präzisen Gitarrenriffs von Limp Bizkit und Queens Of The Stone Age“ (FR).

Doch so sehr man alles schön nachlesen konnte, was man ja nach dem ersten Konzert in Barcelona schon wusste – irgendwann konnte man Madonna in schwarzen Top und Schottenrock nicht mehr sehen, irgendwann wünschte man sich, mal ein Bild von ihr in einem ihrer vielen anderen Kostüme zu sehen. Ein organisatorisches Problem übrigens, denn die Konzertfotografen dürfen immer nur während der ersten drei, vier Stücke fotografieren.

Hätte man vielleicht doch einmal hingehen sollen? Es vielleicht doch mit Johanna versuchen sollen? Oder auf dem Schwarzmarkt, wo die Preise schon früh ungeheuer einbrachen und Madonna nicht viel größer war als AC/DC, R.E.M. oder Mariah Carey. Größer als Gregor Gysi aber blieb sie zumindest die vier Abende, bei Gysis Auftritten muss man nämlich gar nichts zahlen.

Was also war? Viel Luft und viel Liebe. Madonna kam, spielte und siegte, irgendwie. Und sie verschwand wieder, und in Berlin ging alles seinen gewohnten Gang. Um es mit einem leicht abgewandelten Schlusssatz aus einem Roman von Raymond Chandler zu sagen: „Ich habe keinen von ihnen allen wiedergesehen – außer den Berliner Politikern. Von denen Abschied zu nehmen, ist noch kein Mittel erfunden worden.“ GERRIT BARTELS