HEUTE VOR 60 JAHREN ÜBERFIEL DEUTSCHLAND DIE SOWJETUNION
: Mahnmal auch für Slawen

Wenn es ein Datum gibt, das im Gedächtnis aller Russen für immer eingemeißelt bleiben wird, so ist das der 22. Juni 1941. An jenem Tag brach der blutigste Krieg über das russische Volk durch den Angriff des nazistischen Deutschland herein.

Es täte gut, wenn man sich heute im Westen Mühe geben würde, sich zu vergegenwärtigen, was es für ein Volk bedeutet, einen Krieg durchgemacht zu haben, in dem das Land beinahe untergegangen wäre – in dem die Nazis vorhatten, das Land für deutsche Siedler von den dort lebenden Menschen einfach „frei“ zu machen. Acht Millionen Sowjetsoldaten fielen, die Opfer in der Zivilbevölkerung beliefen sich auf mehr als 18 Millionen Menschen. Damit starben über 15 Prozent der gesamten Bevölkerung. Zudem wurde fast der ganze europäische, höher entwickelte Landesteil in eine trostlose Ruinenwüste verwandelt.

Es wäre unsinnig, die heutige Generation der Deutschen für etwas verantwortlich zu machen, was vor ihrer Geburt geschah. Doch um eine Wiederholung zu vermeiden, muss man sich ehrlich an das Geschehene erinnern. Das tut jedoch in Westeuropa und in Deutschland kaum jemand – es ist schon viel, wenn man sich der Tragödie des osteuropäischen Judentums besinnt. Das Drama der Slawen bleibt meist unerwähnt und somit fast unbekannt. Dieses Vergessen darf nicht sein, wenn wir ehrlich ein neues, ein Groß-Europa aufbauen wollen, das wirklich alle Europäer einschließt.

Dass man heute im Zentrum Berlins ein Holocaust-Mahnmal errichten will, ist richtig und gerecht, denn die Opfer des Nazismus dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Dies gilt allerdings für alle Opfer des Nazismus. Es wäre richtig und gerecht, in Berlin auch ein Mahnmal für ermordete Slawen zu errichten, deren Zahl die menschliche Vorstellungskraft nahezu übersteigt. Ein Platz für das Mahnmal wäre leicht zu finden – logischerweise sollte es im Tiergarten stehen, gegenüber dem sowjetischen Soldatenehrenmal für die Sieger, die in Berlin den von Hitlerdeutschland angefangenen Krieg beendeten.

Das deutsch-russische Verhältnis kannte in der Vergangenheit seine guten und schlechten Zeiten. Es gab Perioden des Aufbaus und der Spannungen. Doch blieb die Verbindung zwischen Russen und Deutschen immer einzigartig: Sie war die engste in ganz Europa und riss nie ab. Der Hitlerkrieg hat vieles im deutsch-russischen Einvernehmen und gegenseitigen Verständnis zerstört. Die Realitäten jedoch zwingen zur Besinnung – Russland und Deutschland bleiben die größten Nationen in Europa. Davon, wie sie zusammenarbeiten oder sich bekämpfen, wie sie sich die Zukunft des Kontinents vorstellen, wird sehr viel für Europa abhängen. Die europäische Integration in allen Ehren, aber nichts wird Deutschland die Verantwortung abnehmen, die es als die Mitte Europas und die eigentliche europäische Großmacht trägt. Zum Glück hat das letzte Jahr mit dem Petersburger Dialog einen neuen, positiven Ton in die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarvölkern gebracht.

IGOR MAXIMYTSCHEW

Deutschlandexperte im Europainstitut der russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau