Schicksale in einem Vernichtungskrieg

Heute vor 60 Jahren überfiel das Deutsche Reich die Sowjetunion. Eine einzigartige Ausstellung im Museum Berlin-Karlshorst beschreibt den Krieg nun mit 24 biografischen Fragmenten: Die Lebensläufe einfacher Soldaten beider Armeen spielen ebenso eine Rolle wie die Erfahrungen von Prominenten

von PHILIPP GESSLER

Geht man nach den Opferzahlen, so war der Zweite Weltkrieg, der am 1. September 1939 begann, bis zum Angriff des Deutschen Reiches auf die Sowjetunion heute vor 60 Jahren nur ein laues Lüftchen vor dem Sturm. Das nationalsozialistische Deutschland führte, beginnend mit diesem Tag, einen rassistischen Vernichtungskrieg, dem die europäischen Juden und die slawische Bevölkerung Osteuropas millionenfach zum Opfer fallen sollten. Vor dem 22. Juni 1941 starben im Krieg in Europa weniger als eine Million Menschen – danach waren es 40 bis 50 Millionen. Allein in der UdSSR verloren 27 Millionen Menschen ihr Leben.

Das deutsch-russische Museum Berlin-Karlshorst versucht in der heute eröffneten Ausstellung „Juni 1941. Der tiefe Schnitt“ diesen Horror zu beschreiben – und zwar auf die vielleicht einzig mögliche Art: Einzelschicksale werden erzählt. An dem Ort, an dem am 8. Mai 1945 die deutsche Kapitulationsurkunde unterschrieben wurde, schildern 24 biografische Fragmente das Leben von Deutschen und Russen, für die der Krieg zum Schicksal wurde. Der Kunstgriff der Ausstellungsmacher unter dem Museumsleiter Peter Jahn ist dabei, immer deutsch-russische (Gegensatz-)Paare zu bilden: Dem deutschen Gefallenen steht ein russischer gegenüber, dem General der Wehrmacht einer der Roten Armee. Hinzu kommen Biografien unter anderem von einer Kriegswitwe, einer Partisanin, einer Jüdin, eines Zwangsarbeiters, eines Russlanddeutschen, eines Kriegsverbrechers.

Große, hierzulande bekannte Namen sind zu finden, darunter der Panzergeneral Heinz Guderian, der Schriftsteller Lew Kopelew, der Künstler Joseph Beuys und der Regisseur Konrad Wolf. Am eindruckvollsten aber sind die Lebensläufe der scheinbar „kleinen Leute“, die der Krieg hinwegraffte oder für den Rest ihres Lebens prägte. Ein paar von ihnen leben noch. Sie und ihre Angehörigen hat Museumsleiter Jahn zur Eröffnung der Ausstellung eingeladen – Bundestagspräsident Wolfgang Thierse will auch kommen. Vielleicht findet er ein paar Worte des Gedenkens an all die Toten, die die Besucher hier anblicken. Aber nötig ist das eigentlich nicht.

Museum Berlin-Karlshorst, Zwieseler Straße 4, Berlin-Karlshorst. Ausstellung noch bis zum 30. September. Geöffnet Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr. Eintritt frei. Der Katalog zur Ausstellung kostet hier 20 Mark und 36 Mark im Handel.