Brasiliens Homos fordern Ehe

Demo als Karneval: 200.000 Menschen feiern in São Paulo. Ein Gesetzentwurf zu eingetragenen Lebensgemeinschaften steht im Parlament kurz vor der Abstimmung

SÃO PAULO taz ■ Karnevalsstimmung auf der Avenida Paulista: Am sonnigen Sonntagnachmittag gelang es Brasiliens Schwulen- und Lesbenbewegung spielend, ihr Ziel von 200.000 TeilnehmerInnen an der diesjährigen „Parade des schwulen Stolzes“ zu erreichen. Drag-Queens, Go-go-Boys, leicht bekleidete Engel und linke PolitikerInnen tanzten auf zwölf Umzugswagen zu Techno-, House- und Discoklängen. Fahnen, Banderolen und Luftballonketten in den Regenbogenfarben prägten die bislang größte Homosexuellendemo Lateinamerikas.

São Paulos Bürgermeisterin Marta Suplicy eröffnete den Umzug mit dem Versprechen, nächstes Jahr ganz offiziell eine schwul-lesbisch-bisexuelle Kulturwoche zu organisieren. „Dieses Bürgerfest ist ein Ausdruck der Vielfalt“, rief sie unter großem Jubel.

Die TeinehmerInnen forderten die Verabschiedung eines Gesetzentwurfs über die „Eingetragene zivile Partnerschaft“ im brasilianischen Parlament, den Suplicy 1995 eingebracht hatte. Wenn einer der Partner stirbt, sollen demnach die Ansprüche des Hinterbliebenen auf Erbschaften und Pensionszahlungen gesichert werden. Bisher zogen die BefürworterInnen den Entwurf wegen drohender Abstimmungsniederlagen wiederholt zurück, doch derzeit steht er wieder auf der Tagesordnung. Da die Regierung immer wieder andere Abstimmungen von besonderer Dringlichkeit dazwischenschiebt, ist die Entscheidung noch nicht gefallen.

Als erbittertste Gegner der Neuregelung erweisen sich evangelikale und katholische Abgeordnete. Für Carlos Alberto Rodrigues, nebenbei Bischof der „Universellen Kirche des Gottesreichs“, richtet sich der Gesetzentwurf gegen die „natürlichen, gottgegebenen Gesetze.“ Dem Hinterbänkler Lael Varella schwant Schreckliches: Brasilien drohe zum „Sodom des 21. Jahrhunderts“ zu werden und die „Rache Gottes“ auf sich zu ziehen.Der Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz appellierte jüngst an die 513 Abgeordneten des Repräsentantenhauses, keine „unnatürlichen Partnerschaften“ zu legitimieren.

Die Bevölkerung ist hin- und hergerissen. In einer Umfrage aus dem Jahr 1999 bezeichneten je 47 Prozent der Befragten Homosexualität als „Sünde“ und „psychologische Störung.“ Andererseits sahen zugleich 60 Prozent in ihr einen „natürlichen Ausdruck menschlicher Sexualität“, und für zwei Drittel würde die Homoehe lediglich eine Situation regeln, die bereits gang und gäbe sei. GERD DILGER