„Viele Pseudogeschichten“

Berlin ist unruhiger als Bonn, sagt Hans Leyendecker. Der Aufdecker des CDU-Spendenskandals über das Missverhältnis von Affäre und Folgen, Verschwörungsjunkies und Artikel, die er nicht lesen mag

Nur 20 Prozent der Journalisten machten eigene Recherchen zur Grundlage ihrer Berichte, monierte Hans Leyendecker bei einem der vielen Tagungsauftritte dieser Tage die Defizite der überschätzen „vierten Gewalt“. Der leitendende politische Rechercheur der „Süddeutschen“ und vormalige „Spiegel“-Redakteur hat sich jetzt ein neues Feld erschlossen: Die Medien an sich.

taz: Ist es in Berlin schwerer geworden, an vertrauliche Informationen zu gelangen als in Zeiten der eher gemütlichen Bonner Republik?

Hans Leyendecker: Ich glaube nicht, dass es schwieriger geworden ist. Es ist unruhiger geworden in der Hauptstadt, aber im Bonner Raumschiff ging es auch nicht nach der reinen Lehre zu. Es gab es eine seltsame Symbiose von Politik und Presse. In Berlin gibt es viele Pseudogeschichten. Da werden Geschichten geboren, die bereits am nächsten Tag wieder tot sind. Manchmal bringt eine Nachrichtenagentur unter Verweis auf ein Blatt eine exklusive Meldung, die eine halbe Stunde später schon wieder von dem Blatt dementiert wird. Und zwar nicht von den Betroffenen, sondern von der Zeitung, die diese Meldung via Agentur verbreiten ließ. Es ist alles so fix geworden, dass oft für die ordentliche Recherche kaum Zeit bleibt.

Um an brisante Unterlagen zu kommen, müssen Sie oft ungewöhnliche Wege gehen. Wo liegt für Sie die moralische Grenze?

Man geht viel häufiger die normalen als die ungewöhnlichen Wege. Generell zahle ich keine Gelder für Informationen und lebe damit nicht so schlecht. Ich würde auch nicht unter Decknamen arbeiten und Leute unter Druck setzen. Informanten mache ich darauf aufmerksam, welches Risiko sie eingehen. Das Schlimmste, was Ihnen als Journalist passieren kann, ist die Enttarnung eines Informanten. Diese Leute gehen in der Regel ein großes Risiko ein. Sie zu schützen, ist noch immer die wichtigste Aufgabe.

Macht für Sie Scheckbuch-Journalismus in Ausnahmefällen dennoch Sinn?

Mein altes Blatt, Der Spiegel, hat ja gelegentlich Geschichten gekauft, zum Beispiel im Fall „Neue Heimat“ und auch in der Barschel-Geschichte floss Geld. Das war in Ordnung, weil die Geschichten wichtig waren und weil man anders nicht an den Stoff rangekommen wäre. Als kleiner Mensch mache ich es mir ein bisschen leicht und sage: Ich will das nicht. Wenn mir dadurch eine Geschichte entgeht, ist auch nicht alles verloren.

Ihr früherer Spiegel -Kollege und heutiger Chefredakteur Hans-Werner Kilz hat ihre Arbeitsweise so beschrieben: „Leyendecker geht immer kurzfristige Verträge ein.“

Man muss die Informanten darüber aufklären, was man vorhat. Und man muss ihnen erklären, wo ihre Risiken liegen und was die Geschichte sein könnte. Man muss die Informanten auch darüber informieren, wenn es nicht in die von ihnen beförderte Richtung geht. Man muss den Leuten klarmachen, warum man manchmal das Gegenteil von dem macht, was sie erwarten. Offenheit ist wichtig. Wir arbeiten nicht im Dunkeln, sondern im Licht. Und wir müssen verlässlich sein. Das ist eine Grundvoraussetzung für alle Journalisten.

Welchen Fehler möchten Sie nicht noch einmal begehen?

Ich habe so viele gemacht, dass ich sie nicht alle aufzählen kann.

Negativ wirkt für Sie immer noch die Spiegel- Geschichte von Bad Kleinen nach, wo sie eine Hinrichtung des RAF-Terroristen Wolfgang Grams beschrieben, für die es keine hinreichenden Beweise gab.

Im Fall Bad Kleinen hat der Spiegel 1993 nicht behauptet, dass es eine Hinrichtung gab. Widersprüchliche Zeugenaussagen wurden zitiert. Ein am Einsatz beteiligter Beamter hatte uns allerdings berichtet, dass Grams angeblich von zwei seiner Kollegen hingerichtet worden sei. Diesen Zeugen hatten wir exklusiv, und seine Aussage löste alle Probleme aus. Bad Kleinen wurde zum Desaster, das sich nur schwer vermitteln ließ. Aus solchen Fehlern muss man auch die Lehre ziehen, dass man sich selbst korrigiert.

Neuerdings geben Sie auch auf der Medienseite der Süddeutschen mit Hintergrundartikel über Verlage und Zeitungshäuser den Ton an. Man hat den Eindruck, hier ist weniger der Aufdecker und Rechercheur am Werk, sondern jemand, der sich in Geschichten über seine Branche ein wenig ausruht.

Ich habe – so geht es aber auch anderen Kollegen – manchmal das Problem, dass mich Themen, die ich lange gemacht habe, zeitweilig nicht mehr interessieren. Beispielsweise finde ich derzeit Abhandlungen über Geheimdienste langweilig. Geschichten über Journalismus oder aus dem Wirtschaftsbereich finde ich hingegen interessanter. Es ist nichts schrecklicher, als wenn Sie beim Schreiben einer Geschichte denken: Die möchte ich nicht lesen müssen.

Wollen Sie auf immer der knallharte Rechercheur und Aufdecker bleiben?

Wohin die Reise geht, weiß man nie. Es gibt Ermüdungsphasen. Diese Kohl-Geschichte hat mich das erste Mal richtig ermüdet. Ich habe keine großen Konsequenzen erwartet, aber das Missverhältnis von Affäre und Folgen kann einen schon mal erschöpfen.

Was erschöpft Sie sonst noch?

Manchmal auch die eigene Branche. Die vielen Verschwörungsjunkies, von denen etliche unter dem Etikett investigativer Journalismus antreten, können einen schon mürbe machen. Die rasenden Verfolger öden mich an.

Wenn man sich die journalistische Aufklärungsleistung des vergangenen Jahres ansieht, könnte man meinen, in Deutschland sei mit dem Wächteramt der Presse alles in Butter. Gerade Sie beklagen häufig, dass es nur eine Handvoll Journalisten ist, die recherchiert. Was muss geschehen, damit in Deutschland eine echte Recherche- und Aufklärungskultur entsteht?

Die Ausbildung an den Universitäten muss verbessert, ein Fach Recherche muss eingeführt werden. Journalisten müssen ermutigt werden, zu recherchieren, und Verleger müssen dafür gewonnen werden, sich auf Risiken und auch auf teure Recherchen einzulassen. Nur wenn man Verbündete gewinnt, kann man gewinnen. Die Möglichkeiten dafür gibt es.INTERVIEW: WOLFGANG MESSNER