Die Schweiz in sich

Wer den Waschküchenschlüssel besitzt, hat die Macht, aber auch die Mentalität eines Gartenzauns: Die Choreografin Eve Neeracher und ihr Stück „Swiss Maid“ im Dock 11

Ihre Swiss Maid kann nicht so locker sein wie die glamourverliebte Texanerin, sie bleibt in ihrem engen Mikrokosmos stecken

Die Schweiz ist schön mit ihren hohen Bergen, den tiefen Seen und der guten Luft. Die Schweiz fabriziert die beste Schokolade der Welt, spricht eine Sprache mit dem lustigen Suffix „-li“ und ist die Heimat richtig guter Menschen.

Eve Neeracher hingegen sagt, dass sie glücklich ist, „aus“ der Schweiz heraus zu sein. Das klingt nach Flucht aus dem Gefängnis, einer gelungenen Flucht, denn die Tänzerin ist bereits zehn Jahre weg, und sie will auch nicht zurück. „Die Schweiz ist so klein, es gibt kaum Raum, nur Berge ringsum. Du kannst nicht weit schauen, ohne mit dem Blick gleich wieder am nächsten Berg kleben zu bleiben.“

Neeracher ist nicht verbittert, sie hat die „Schweiz in sich“ bemerkt, als sie in Rotterdam lebte, in Amsterdam, und jetzt in Berlin. In dem Stück „Swiss Maid“, einem „Solo with Guest“, choreografiert die Dreißigjährige ihre Distanz zur Heimat und zugleich ihr Bedürfnis nach Identifikation. Sie stellt die Miss Helvetica in der Pose puppenhafter Akkuratesse dar, lässt sie im damenhaften Kostüm, mit roten Lackschuhen und um den Hals gebundenem Tüchlein wie eine idiotische Mischung von PR-Frau und Stewardess aussehen. Es geht um Arbeit und Plichterfüllung und um die schweizerische „Gartenzaunmentalität“. Alles sei so klein und überschaubar, so Neeracher, und jeder kontrolliert, was der Nachbar treibt. Ihre Figur führt mechanisch die immer gleichen Handlungen aus. Die Bewegungsabläufe sind eckig, künstlich, irreal, so als wollte sie sich mit Hilfe der Linien und Geraden, die ihr Körper nach einem imaginären Plan im Raum zeichnet, der Ordnung versichern. An den Kanten des Kunstrasenrechtecks laboriert sie mit Teekanne und Tasse, hinten steht eine Waschmaschine, auf der Wäscheleine hängen später Polaroids, die die Swiss Maid beim Rollen auf dem Rücken von sich macht. Für abstrakte Tugenden wie Ordnungsliebe, Pünktlichkeit und Fleiß steht sie und fühlt sich einsam. „Die Person sehnt sich nach Liebe“, sagt Eve Neeracher, „nach einem Mann, der sie heiratet. Aber das bleibt eine Fantasie, denn sie schafft es nicht, aus ihrem Korsett auszubrechen und auf jemanden zuzugehen.“ Stattdessen sieht man die „Puppe“ auf einem Videoscreen, wie sie in der großen fremden Stadt nach dem Abenteuer sucht. Aber daraus wird natürlich nichts, wie auch? Mit starrem Gesicht und dem doofen blauen Kostüm stakst sie durch Einkaufspassagen und U-Bahnhöfe, sitzt im Polizeiwagen und liegt tot im Rinnstein.

Eve Neeracher rechnet mit ihrer Heimat auf melancholisch-amüsante Weise und in beeindruckend klarer Bewegungssprache ab. „Der Waschküchenschlüssel“ des Schweizer Schriftstellers Hugo Lörtscher inspirierte sie zu dem Spiel, das die eingeengte „Gartenzaunmentalität“ beschreibt. „Der Waschküchenschlüssel zirkuliert im Zweiwochenrhythmus im Haus, und jeder Mieter muss diesen Rhythmus einhalten. Der Schlüssel ist ein Politikum, wer ihn hat, hat die Macht.“ So ist das also in dem vierzigtausend Quadratmeter großen Alpenland mit siebenhundert Jahren Demokratie und sieben Millionen Einwohnern, die nicht in die Vereinten Nationen eintreten wollen und den höchsten Wohlstand der Welt nachweisen.

Neuerdings fällt die Schweiz – wider Willen – ja auch aus der Rolle, mit ihrer blonden Botschaftergattin in Berlin. Eve Neeracher findet Shawne Borer-Fielding gut. „Durch sie kommt mal ein bisschen Wind in die angestaubten Regierungskreise.“ Ihre Swiss Maid kann nicht so locker sein wie die glamourverliebte Texanerin, sie bleibt in ihrem engen Mikrokosmos stecken, als sich doch noch ein Mann nähert. Der Berliner Tänzer Thomas Falk kommt in Hochwasserhosen, verstreut weißes Pulver neben dem Kunstrasen, geht an den Rand und liest Sartre. Die Swiss Maid sieht das und flippt aus. Für einen kurzen Augenblick verlässt sie ihr Puppenheim, streift das Kostüm ab und wird zur Frau, physisch, irdisch: Mit runden, kreisenden Bewegungen wälzt sie sich im Puder.

Zur Liebe kommt es trotzdem nicht. Die beiden Figuren tanzen miteinander, doch sie verbinden sich nicht. Ihre starren Gesichter sind voneinander abgewendet, Kommunikation bleibt aus. Man sieht die Swiss Maid wie Ophelia im Wasser treiben und hört einen traurigen Song: „My wedding man, why did you disappear?“ JANA SITTNICK

„Swiss Maid“: Sa./So. jeweils 20.30 Uhr, Dock 11, Kastanienallee 79, Prenzlauer Berg