Zivis im Ost-West-Umtausch

■ Weißrussen auf Bremen–Tour: Eine Geschichte vom Erwachsenwerden in Minsk, von Titanic-Pendants in Weißrussland und von hanseatischen Bräuchen an der Weser

Kyrillische Schriftzeichen, wilde Comics, krasse Fotos und ein Redakteur, dessen Augen begeistert blitzen, als er sein Blatt vorstellt. Revolutionär, satirisch, ironisch: diese Attribute schreibt sich die „navinki“ auf die Fahnen, die weißrussische Schwester von Titanic und Co. „Wir unterscheiden uns nicht nur von den offiziellen, sondern auch von den unabhängigen Zeitungen durch unseren Stil“, erzählt Pauluk Kanavalczyk, Chefredakteur der „navinki“.

Pauluk ist für eine Woche nach Bremen gekommen, weil der Soziale Friedensdienst (SFD) hier seit fünf Jahren mit der Stadt Minsk ein „Umtauschprogramm“ hat, wie es sein Kollege übersetzt. Und außerdem: „Navinki hat mit der taz etwas gemeinsam. Sie hat eine Auflage von 3.000, wird aber von rund 40.000 Menschen gelesen“, erklärt auch Gastgeber Gerd Placke vom SFD.

Chefredakteur Pauluk erzählt von den Unterschieden zwischen Ost und West: „Der Soziale Friedensdienst macht viel mit Zivis. Bei uns in Weißrussland gibt es derzeit gar keine Zivis, und keiner will zum Militär.“ Denn dort müssen die Burschen 18 Monate zum Dienst an der Waffe, nach einen Uniabschluss immerhin noch zwölf Monate. Es gibt zwar einen Entwurf für eine Alternative zum Militär. „Aber“, sagt Sergej, „es ist kein Sozialdienst. Sondern drei Jahre in einem Bautrupp für Straßen und Schienen, kostenlos.“

Vom Leben in Weißrussland können auch Bremer Zivis einiges lernen, weiß Gerd Placke. Einmal im Jahr bricht ein Trupp Friedensdienstler gen Osten auf. Sie merkten schnell, dass die Jugendlichen dort viel erwachsener seien, sich jeden Tag um ihre Existenz kümmern müssen.

Wie hart das Leben ist und dass dort „Journalismus ein Beruf mit sehr hohem Risko“ ist, hat Pauluk am eigenen Leib erfahren. Seine 1998 gegründete „navinki“ war im ersten Erscheinungsjahr illegal. Die Legalisierung, unter großem Kraftakt errungen, bedeutete aber keinen Einzug in komfortable Redaktionräume. Eine Zwei-Zimmer-Wohnung wurde als Büro genutzt, da „die besten Gebäude dem Staat gehören“. Erst im April hat die Polizei die Wohnung durchsucht – just einen Tage, nachdem die Bremer Zivis sich die Redaktion angesehen hatten. Alle Redakteure wurden verhaftet, die neueste Ausgabe beschlagnahmt, die Wohnung gekündigt.

Auch Sergej Laboda ist in Bremen. Er ist Deutschlehrer. Aber weil die Bezahlung für Pädagogen so lausig ist, verdient er sein Geld beim semistaatlichen Bildungszentrum „Post“. Abends legt er als DJ Scheiben auf. Das „Post“ wird von ausländischen Organisationen getragen, zum Beispiel vom Bremer SFD. Von Regierungsseite dagegen wird das Bildungszentrum als „Kartoffelkäfer“ bezeichnet. „Kartoffelkäfer mögen die Farbe grün. Und grün steht für Dollar.“ So erklärt sich Sergej, warum sie jeden Fitzel Geld durch eine Rechnung ausweisen müssen. Die Regierung fürchtet Hinterziehung. Es könnte aber auch etwas mit den offenen Lehrmethoden des „Post“ zu tun haben, dieser Gedanke kommt manchmal auf.

Zurück zu Bremen. Das erste, was die Gäste an hanseatischer Ritualen beeindruckt, ist ausgerechnet das Treppenfegen auf den Domstufen. Besonders die Tracht des Stufenkehrers fasziniert sie. Und natürlich haben sie ein Bier abgegriffen. „Aber, wir waren traurig, dass wir an dem Tag kein Mädchen dabei hatten. Wir hätten gerne noch tiefer in diese Tradition gesehen.“ Vielleicht findet sich ja noch eine Jungfrau, bis die beiden morgen wieder gen Minsk fliegen – und in der „navinki“ ein skurriler Artikel über den deutschen Zivildienst erscheint.

Sandra Voß