Für Juliens Kino geht man ins Museum

Der afrobritische Filmemacher Isaac Julien gilt als Favorit für den renommierten britischen Turner-Kunstpreis

Jedes Jahr wiederholt sich das Ritual: Kaum sind die Nominierungen für den Turner-Preis bekannt, wird die künstlerische Qualität der Kandidaten in Frage gestellt. Mal ging der Streit um die zerlegten Kühe von Damien Hirst, mal war es das zerwühlte Bett Tracey Emins. Auch dieses Jahr waren sich Kritiker schnell über die „offizielle“ Überraschung einig: Mit Isaac Julien wurde ein Filmemacher vorgeschlagen – und postwendend von den Buchmachern zum Favoriten erhoben.

Dabei ist es nicht so sehr das Medium, das die Nominierung Juliens außergewöhnlich interessant macht. Die Besonderheit seiner Arbeiten ist ihr enger Zusammenhang mit theoretischen Positionen innerhalb schwarzer Cultural Studies: Seit mehreren Jahren unterrichtet Julien in Harvard Filmtheorie und Afro-American Studies. Ihn interessiert, wie Rasse, Männlichkeit und Sexualität in westlicher Kultur repräsentiert werden und wie diese Darstellungen einander bedingen. In seinen visuellen Essays nutzt er das Archiv dieser Images, hinterfragt und überdenkt sie. So galt „Looking for Langston“ 1989 als Meilenstein des New Queer Cinema. Es ist eine tastende, experimentelle und erotisch aufgeladene Studie zur kulturellen und sexuellen Politik der Harlem Renaissance.

Als Künstler versucht Julien, Diskurse zu öffnen, Bedeutungen in Bewegung zu bringen – und zu halten. Dem entspricht die poetische, nichtnarrative Sprache seiner Filme, die theoretisch fundiert und assoziativ sind: „Black Skin White Mask“, Juliens 1995 gedrehte Meditation über das Leben und Werk des Kolonialismustheoretikers Frantz Fanon, ist Teil der momentan in Berlin laufenden Ausstellung „Short Century“.

Julien ist schwarz und schwul, aber nicht bereit, Repräsentationsaufgaben zu übernehmen: Er spreche von dieser Position aus, sagte er einmal, aber nicht für sie. Wenn er in „Young Soul Rebels“ 1991 die Konstruktion einer homogenen weißen englischen Identität dadurch dekonstruiert, dass er die Feierlichkeiten zum silbernen Jubiläum der Queen von zwei Piraten-DJs sprengen lässt – der eine schwarz und schwul, der andere gemischtrassig –, dann wendet er sich auch gleichzeitig gegen jegliche essentialistische Vorstellungen schwarzer Identität. In seinen jüngeren Arbeiten hat er sich weiter von formelhaften Eingrenzungen frei gemacht: „The Long Road to Mazatlán“ spielt mit der Ikonografie des weißen Cowboys.

Dass er jetzt vor allem im Kunstkontext wahrgenommen wird, ergibt sich aus seiner künstlerischen Biografie und gehorcht derselben Logik der Suche nach Öffnungen. Bevor er zum Film umschwenkte, studierte Julien Malerei; wie bei Derek Jarman oder Sally Potter prägt bildende Kunst wesentlich die Ästhetik seiner Filme. Als in den 90er-Jahren unabhängiges britisches Kino zunehmend in einer Art alternativem Mainstream aufging und die Förderung für nicht marktkonforme Filme einbrach, präsentierte er seine Produktionen zunehmend als Installationen in Museen und richtete seine Arbeitsweise auf diesen Kontext aus. In einem Interview sagte er, dass das Museum die „letzte Bastion“ avantgardistischer Techniken im Zeitalter ihrer Kommodifizierung durch Hollywood sein könnte. Die Leute von der Turner-Preisstiftung haben das bestimmt gerne gehört. KARSTEN KREDEL