Mit stolzgeschwellter Brust

ARD und Phoenix dokumentieren in einer dreiteiligen Reihe die Entwicklung des deutschen Rechtsextremismus seit 1945. Tenor: Rechte Gewalt wurde fünfzig Jahre lang verharmlost. „Nach Hitler“, erster Teil heute, Phoenix 20.15 Uhr, ARD 21.45 Uhr

von RALF GEISSLER

Einige Neonazis werden heute Abend vielleicht vor dem Fernseher sitzen und ARD gucken. Sie werden sich zuprosten und sagen: „Endlich zeigen die mal, was wir schon alles geleistet haben.“

Ob Hoyerswerda, Mölln oder Rostock – Jan Peter, Yury Winterberg und Rainer Fromm lassen in der ersten Folge ihrer dreiteiligen Reihe „Nach Hitler – Radikale Rechte rüsten auf“ kein Ereignis aus, bei dem gewaltbereite Rechte triumphierten. „In der Szene war Rostock absolut das Größte“, erinnert sich ein Aussteiger, „weil die Bevölkerung Zustimmung signalisierte.“ Dass beim erneuten Anblick der Bilder einigen nicht ausgestiegenen Neonazis noch einmal vor Stolz die Brust schwillt, kann man den Autoren nicht vorwerfen.

Erstmals dokumentiert ein Fernsehteam die Entwicklung des Rechtsextremismus seit 1945. Bei den meisten Zuschauern wird das Entsetzen hervorrufen, und viele wird es in der Ansicht bestärken: Deutschland war fünfzig Jahre auf dem rechten Auge blind – im Westen wie im Osten. So erinnert der Film daran, dass kaum einer die rechte Gefahr sehen wollte, als die Wehrsportgruppe Hoffmann sich auf eine Militärdiktatur vorbereitete oder Gundolf Köhler auf das Münchner Oktoberfest ein Sprengstoffattentat verübte. Und auch als Frank Schubert beim Schmuggeln von Waffen an der Schweizer Grenze zwei Polizisten erschoss und dabei selbst ums Leben kam, fürchteten nur wenige einen organisierten Rechtsextremismus. Ausgerechnet der Münchner Neonazi Friedhelm Busse entlarvt die Naivität der meisten Deutschen, indem er sagt: „Durch den Tod von Frank Schubert war ja die allgemeine Stimmung: Man muss auch bereit sein, für sein politisches Ziel sein Leben zu lassen.“ Und Manfred Roeder gesteht in der Dokumentation ganz ungeniert, dass er von einer nationalsozialistischen RAF träumte.

Neben den Tätern hat das Team Aussteiger, Wissenschaftler und Zeitzeugen befragt. So erzählt Mevlüde Genç eindringlich von ihrem Leben zwischen Bundesverdienstkreuz und Videoüberwachung. Die Türkin verlor beim rechten Brandanschlag auf ihr Wohnhaus in Solingen 1993 fünf Verwandte und ist bis heute auf psychologische Unterstützung angewiesen.

Der Film räumt auf mit dem Klischee, rechte Gewalt sei eine Sache von kahl rasierten jungen Männern in Springerstiefeln. Die Täter und Vordenker trugen mal zerzauste Haare (Gundolf Köhler), mal absurde Zwirbelbärte (Karl-Heinz Hoffmann). Sie sahen aus wie Schwiegermutters Liebling mit Heintje-Frisur (Christian Worch) oder kamen wie ein Staubsaugervertreter im billigen Anzug daher (Klaus Ludwig Uhl). Nur eins haben sie bis heute alle gemeinsam: ihren blinden Hass.

Der Film verdeutlicht, dass es nicht reicht, ihre Anhänger in Gefängnisse zu sperren und dort dem Netzwerk der Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene von Ursula Müller zu überlassen. Der Verein unterstützt inhaftierte Rechte mit Broschüren und Geschenken und macht ihnen klar: Deine Gleichgesinnten lassen dich nicht im Stich. Dass die DDR ihre Rechten in den Achtzigern zu den Altnazis in den Knast sperrte, beschreibt der Extremismusforscher Bernd Wagner als fatalen Fehler. „Dort hat man sich lieben und schätzen gelernt.“ Eine Ursache des Rechtsextremismus im Osten sehen die Autoren im zur Phrase verkommenen Antifaschismus, der von der DDR-Regierung zwar immer gepredigt, aber nie gelebt wurde. In Opposition dazu schlossen sich viele Jugendliche zu illegalen rechten Gruppen zusammen. Schon die Beschreibung dieser ostdeutschen Neonazi-Szene und wie die DDR versuchte, ihre Existenz zu vertuschen, macht die Dokumentation sehenswert.

Der Einsatz der Spezialeffekte erinnert manchmal an eine Viva-Videoclip-Ästhetik. Vielleicht sollen die schnellen Schnitte und flimmrigen Bilder ein junges Publikum erreichen. Die starke Inszenierung gleicht jedenfalls den Doku-Reihen des ZDF-Fernsehhistorikers Guido Knopp. Nach „Hitlers Helfer“ und „Hitlers Frauen“ nun also Hitlers Nachfolger. Tiefgründiger als die ZDF-Geschichten ist die neue Doku auf jeden Fall.