Zuwanderung: Neuer Senat soll Wende einleiten

Die stellvertretende Landesvorsitzende der GEW, Sanem Kleff, fordert vom rot-grünen Senat einen „Befreiungsschlag“ in der Ausländerpolitik

Mit einiger Skepsis und vielen Erwartungen verfolgen Migranten in Berlin den bevorstehenden Regierungswechsel. „Einen Befreiungsschlag in Sachen Einwanderungs- und Ausländerpolitik“ erhofft sich beispielsweise die stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Sanem Kleff. Ganz oben auf ihrer Liste der Reformen, die ein rot-grüner Senat umsetzen sollte, steht die Einführung einer Nichtdiskriminierungsregelung für den öffentlichen Dienst. „Das kostet nichts, und Berlin würde eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien übernehmen.“

Ebenso wichtig sei eine Abkehr von der rigiden Linie der großen Koalition bei Abschiebungen. Auch in puncto Einbürgerung sieht Sanem Kleff Handlungsbedarf. In vielen zuständigen Behörden würden die Anträge der Zuwanderer mit „schleppender Langsamkeit“ bearbeitet.

Mit dem Blick nach vorn in eine möglicherweise rot-grüne Zukunft verband die seit Anfang der 80er-Jahre in Berlin lebende Lehrerin türkischer Herkunft am Dienstagabend im Kreuzberg Museum auch eine zornige Abrechnung. „Der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung haben die Diskussion über Einwanderungsgesetze und die doppelte Staatsbürgerschaft um ein Jahrzehnt zurückgeworfen“, lautete ihr Resümee. Schließlich gab es schon Mitte der 80er-Jahre breite Kampagnen und Initiativen für ein kommunales Wahlrecht für Ausländer und für die doppelte Staatsbürgerschaft.

Doch mit der Wiedervereinigung wandte sich die deutsche Gesellschaft von den Einwanderern ab und den „ostdeutschen Geschwistern“ zu. Ausgrenzung, rassistische Sprüche, körperliche Angriffe – für türkische Migranten, aber auch Angehörige anderer Minderheiten sind die Jahrestage rings um Mauerbau und -fall keineswegs positiv besetzt. Wie der „uneingeladene Gast auf einer Familienfeier“ habe sie sich nach dem Mauerfall gefühlt, erinnert sich die heute 45-jährige Kleff. Mit der Wiedervereinigung ist für die türkische Minderheit auch der Verlust von Arbeitsplätzen verbunden. „Die Gastarbeiter“, die kurz vor dem Mauerbau angeworben wurden, wurden nach der Wiedervereinigung und dem Wegfall der Berlin-Subventionen auch als Erste entlassen. Heute sind 42 Prozent aller Türken im erwerbsfähigen Alter arbeitslos. Und obwohl 20 Prozent aller türkischen Jugendlichen ohne Schulabschluss und Berufsausbildung dastehen, brechen auch heute noch viele von ihnen eine der begehrten Ausbildungen ab, wenn sie zum Berufsschulbesuch nach Ostberlin fahren müssen. Jetzt hoffen nicht nur Sanem Kleff und ihre Zuhörer im Kreuzberg Museum, dass auf „das Jahrzehnt der Enttäuschung“ für Einwanderer eine positive Wende folgt.

HEIKE KLEFFNER