Geben und Nehmen

■ Ein komfortabler Platz im Fegefeuer war einst für St.Ansgarii-Gemeindemitglieder so teuer wie heute einer im Altenheim. Das erforschte Sabine Presuhn

Als Quelle gesellschaftlichen Wohlstands gilt heute das persönliche Gewinnstreben tausender Ichs. Die katholische Kirche aber finanzierte sich viele Jahrhunderte hindurch über die Angst; nicht die vor Obdachlosigkeit oder Altersarmut, sondern vor der Sünde und dem dazugehörigen Fegefeuer. Aber dieses Fegefeuer konnte man mildern durch postmortale Gottesdienste. Katholiken, die heutzutage einen Gottesdienst einem Verstorbenen widmen wollen, zahlen gerade mal den Preis von zwei Big Macs, 10 Mark. Im Mittelalter war das anders. Wer Gedenken und Sündenminimierung für die Ewigkeit sichern wollte, der musste der Kirche eine Stiftung vermachen, die pro Jahr etwa die Hälfte des Jahresgehalts eines Vikars abwarf. Das geschah zum Beispiel in Form des Übereignens eines Hauses. Und so ist die Angst vor dem Fegefeuer eine wesentliche Ursache für den Immobilien- und Grundbesitz, den die Kirche im Mittelalter anhäufte. Als Gegenleistung wurde der Name des Stifters nach seinem Tode ein lausiges Mal pro Jahr – meist an seinem Todestag – in der Messe erwähnt.

Diese Tradition reicht bis in die Karolingerzeit zurück und wurde ab dem 15. Jahrhundert perfektioniert im Ablasswesen, wo es ein klares Tarifsystem für jedwede Sünde gab. Die großen Kirchspiele notierten Namen, Gedenktag und Stiftungskapital der Verstorbenen in sogenannten Nekrologen. Den Nekrolog von Bremens bedeutendstem Kirchspiel im Mittelalter, St. Ansgarii, wertete jetzt Sabine Presuhn in ihrer Dissertation aus. Auf stattlichen 575 Seiten hat sie den teils lateinischen, teil niederdeutschen Text ediert, die Identität – Lebensdaten und Beruf – der circa 800 stiftenden, also gedenkwürdigen Verstorbenen recherchiert und Schlüsse gezogen über die Finanzierung von Chorherren und die Umgehensweise des Christentums mit dem Tod. Es war „ein breiter Querschnitt durch die Bevölkerung“ bis hinunter zum Kohlenhändler, der Vorsorge traf für die Zeit nach dem Tod. Besonders Reiche stifteten gleich an mehrere Kirchengemeinden oder finanzierten einen Seitenaltar samt dazugehörigen Vikar.

Der Ansgarii-Nekrolog wurde zwischen 1435 und 1439 angelegt und bis 1550 durch neue Stiftereinträge ergänzt, also noch lange nach Heinrich von Züpfens erster reformatorischen Predigt 1522. Er ist die Abschrift eines viel älteren Nekrologs, der die Totengedenktage seit Kirchspielgründung 1187 listete, im 2. Weltkrieg abhanden ging und möglicherweise noch in Armenien lagert. Der Nekrolog von 1435, der in einem Regal im Keller der Bremer Staatsbibliothek steht, hat aber jene Toten des Vorgänger-Nekrologs eliminiert, deren Stiftungskapital auf die eine oder andere Weise verfallen ist. „Tot ist, wer vergessen wird“, nennt Presuhn ihr in dreijähriger Wühlarbeit entstandenes Buch. Es könnte aber auch heißen: Vergessen ist, wer nicht genug Geld hatte. Noch im Jahr 1638 schützte sich eine protestantische Familie vor dem Verschwinden durch das Spenden eines Leuchters für St. Ansgarii. bk