Wie lange ist man heute ein Paar?

■ Ein Gespräch mit Patrice Chéreau über seinen Film Intimacy und das Ideal sexueller Freiheit

Sex im Kino ist entweder peinlich – oder findet nur im Kopf des Zuschauers statt. Nicht so in Patrice Chéreaus auf der Berlinale prämierten Film Intimacy. Der französische Regisseur (Die Bartholomäusnacht) inszeniert den Beischlaf als schnörkellosen, stummen Akt zwischen einem Mann und einer Frau, die sich nicht kennen, aber einmal in der Woche in heller Verzückung auf dem Fußboden einer schäbigen Londoner Wohnung wälzen. Aus Sex wird Liebe, aber keine dauerhafte Beziehung. Ein Film über Ekstase und Tristesse am Nachmittag – und die Grenzen des Augenblick-Glücks.

taz hamburg: Herr Chéreau, Sie haben sich viel Lob, aber auch Kritik wegen der expliziten Sexszenen in Intimacy eingehandelt. Wäre Ihr Film ohne diese Szenen überhaupt denkbar gewesen?

Patrice Chéreau: Es ging nicht darum, Sex explizit zu zeigen. Ich wollte den Genuss zeigen. Erst beim Drehen habe ich entdeckt, wie schön und berührend – und nicht erregend – es war, diese Körper zu sehen. Zwei Körper, die sich Liebe und Vergnügen geben. Am Anfang ist das die Hauptgeschichte. Dann geht es darum, wie die beiden diesen Zustand in etwas anderes verwandeln.

Auf den Pornografievorwurf, der Ihnen gemacht wurde, könnte man also entgegnen: So sieht Sex nun mal aus.

Ich sehe da nicht nur Sex, ich sehe da auch sehr starke Liebe. Zärtlichkeit. Vielleicht ist die Liebe noch nicht in der ersten Szene da, aber in der zweiten. Die beiden sind in dieser Hinsicht sehr gleichberechtigt. Das war auch geplant. Ein Vorschlag, der von den Schauspielern kam, war, dass sie nebeneinander liegen wollten. Keiner sollte auf dem anderen liegen, so dass es keinen Sieger und keinen Verlierer gab.

Wie haben Sie erreicht, dass sich die Schauspieler Mark Rylance und Kerry Fox so entblößen?

Ich habe ein paar Regeln formuliert. Eine war: Es sollte nie mit der Handkamera gedreht werden. Die Positionen der Kamera standen von vornherein fest. Das war eine auffällige, dicke Kamera, die auch auf Schienen stand. Die Schauspieler wussten immer, wo der Apparat war. Wenn sie etwas verstecken wollten, konnten sie es auch. Kurz: Die Kamera sollte nichts stehlen.

Waren die Szenen dennoch improvisiert?

Anfangs haben sie natürlich alle möglichen Stellungen ausprobiert. Aber dann war alles einstudiert. Jede Bewegung. Der Mann macht die Geste, die Frau antwortet darauf mit einer anderen Geste. Genau wie in einem Dialog. Das haben wir mehrmals geprobt. Und dann gemacht. Nur eine Szene war sehr schwer: als Claire fast vergewaltigt wird. Das war die schlimmste für Kerry Fox. Hier habe ich zum ers-ten Mal gesehen, dass die beiden Darsteller vollkommen unterschiedliche Standpunkte hatten.

Inwiefern?

Sie fand es furchtbar, das zu spielen, und er wollte mehr machen. Es ist die einzige Szene, die ich mit der Handkamera gedreht habe, weil ich das so schnell wie möglich hinter uns bringen wollte.

Wie oft mussten die Sexszenen gedreht werden?

Jedes Mal sechs- oder siebenmal. Das ist ziemlich wenig für mich. Dialogszenen wiederhole ich bis zu zwanzigmal.

Sehen Sie Ihren Film auch als eine Absage an das Ideal sexueller Freiheit? Schließlich kehrt die Frau wieder zu ihrem Ehemann zurück, während sich der Mann nach einer festen Bindung sehnt.

Nein, mich hat vielmehr die Frage interessiert, unter welchen Bedingungen man heute ein Paar bildet – und vor allem für wie lange. Was kennt man von der Person, mit der man lebt? Ich finde es sehr traurig, wenn eine Beziehung kaputtgeht. Aber wer kann für die Dauer einer Liebe garantieren?

Das ist das romantische Ideal, von dem alle Kinofilme erzählen. Träumen Sie nicht von einer langjährigen Beziehung?

Nein. Weil ich weiß, dass es nie sehr lange hält. Es kann sehr lange sein, aber dann ändert sich die Beziehung und irgendwann sucht jeder was anderes. Ich glaube nicht, dass die Leute so viel von den ewigen Bindungen träumen.

Laut Statistiken ist das immer noch so.

Ok, da kann man ruhig von träumen. Von etwas, das ohenhin nicht existiert, kann man schließlich am besten träumen.

Ihr Film erzählt von zwei Modellen der Beziehung: der Ehe und dem kurzen Glück des Augenblicks. Welches funktioniert Ihrer Ansicht nach heute noch?

Ich weiß es nicht. Es gibt ja noch andere Modelle. Aber egal, ob eine Liebe lange währt oder nicht: Am Ende des Films sieht man zwei Leute, die sich einander das Leben gerettet haben. Und sie haben etwas Gutes für den anderen gemacht. Man kann traurig sein und sich sagen: Schade, dass es nicht länger gedauert hat. Aber trotzdem ist den beiden etwas sehr Starkes passiert.

Interview: Ariane Heimbach

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