Die beste aller Welten

Storytelling und 3-D-Modelling stehen genauso auf dem Stundenplan wie Spieltheorie und Projektmanagement: An der von Thomas Dlugaiczyk gegründeten Games Academy in Friedrichshain kann man sich zum Game-Level-Designer ausbilden lassen

Ego-Shooters, Doom und Quake sind nicht ausschließlich Männersachen

von SEBASTIAN HANDKE

Glücklich kann sich schätzen, wer solche Eltern hat. Rudolf Aschenbrenner hat die Schule abgebrochen. Ohne Abschluss zwar, aber mit Unterstützung der Erziehungsberechtigten. Kurzfristig und überraschend kam die Zusage der Berliner Games Academy, jemand sei abgesprungen, ein Platz wäre frei, ob er morgen zum Kurs antreten könne? Den stillen Abgang gestalteten seine Eltern reibungslos: Montags noch war Rudolf in seiner Schule in Hessen, tags darauf brachten sie ihn gleich selbst nach Berlin.

Nun steht er gedankenverloren im Aufenthaltsraum, dessen Einrichtung ebenso wie die beiden Seminarräume und das Büro so aussehen, als sei ein schwedischer Inneneinrichter Hauptsponsor. Es ist Mittagspause, und Rudolf hat sich bei Burger King mit dem Notwendigsten versorgt. „Viele sagen, es sei familiär hier“, meint Thomas Dlugaiczyk, Initiator und Betreiber der Berliner Games Academy in Friedrichshain. Dort kann man sich seit 1999 in siebenmonatigen Intensivkursen zum Game-Level-Designer ausbilden lassen, ein Jobprofil, das die Akademie als solches erst hervorgebracht und etabliert hat.

Eigentlich ist Dlugaiczyk Sozialpädagoge, was man ihm auch anmerkt. Eine Akademie sollte „nicht nur ein Ort des Lernens sein“, sagt er voller Sendungsbewusstsein, „sondern auch der sozialen Auseinandersetzung“.

Seit 1988 beschäftigt sich Dlugaiczyk mit neuen Medien, zuerst als Jugendarbeiter, dann als Fernsehjournalist, schließlich bei der Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle (USK), die er mit aufgebaut hat. Am Ende nutzte er seine guten Kontakte zur Spieleindustrie, besorgte sich einen Existenzgründerkredit und steckte „allet, wat ick bin und wat ick habe“, wie er sagt, in seine Akademie für Spieleentwickler.

Dlugaiczyk geht es immer um die „Kids“, und das ist so ernst gemeint, wie es einem Sozialpädagogen geziemt. Er kennt die Besonderheiten von Jugendlichen in ihrem Umgang mit neuen Medien, das manchmal schier unglaubliche Wissen, welches bereits autodidaktisch angeeignet wurde und wofür sie unbedingt „positives Feedback“ brauchen, „sonst fangen die an, irgendetwas zu knacken“. Und er kennt das Problem mit kommerzieller Software.

Die so genannte Engine baut aus den vorbereiteten Objekten – Bauklötze, Autos, Zombies – die begehbare Welt. Das kleine Programm passt auf eine einzige Diskette und kostet trotzdem so viel wie eine Zweizimmerwohnung. Die Academy nutzt deshalb ein Open-Source-Programm, eine Software, die offen und kostenlos zu haben ist. So können die Jungdesigner auch auf dem eigenen Rechner damit arbeiten, ohne kriminell zu werden oder schlechte, das heißt durch Hacker geknackte Software nutzen zu müssen. Diese Open Source Engine stammt von den Berliner Radon Labs, die nicht nur Dozenten freistellen für die Academy, sondern auch einige ihrer Absolventen „gleitend“ übernehmen. „Das Besondere“, sagt Bernd Beyreuther von den Radon Labs, „ist diese Mischung“, denn was man braucht, sind „Spezialisten für den Hybridbereich“. Gemeint ist die ganzheitliche Ausrichtung der Ausbildung, die von Anfang an in engem Austausch mit Berliner Entwicklungsstudios konzipiert wurde. Storytelling und 3-D-Modelling gehören ebenso dazu wie Spieltheorie und Projektmanagement. Andreas Lange vom Computerspielemuseum erzählt die Geschichte des Spiels, Hans-Hellmut Müller, Erbauer der Weltzeituhr, unterrichtet gemeinsam mit seinem Sohn Felix grafisches Gestalten. Schließlich absolviert man noch ein zweimonatiges Praktikum als „Reality Check“.

Doch jeder der Teilnehmer hat so seine Vorlieben, auch die kennt Dlugaiczyk, und er bemüht sich, die Vergabe der Praktikumsplätze darauf abzustimmen. Rudolf hat sich noch nicht spezialisiert. Er wirkt eher planlos, immer ein wenig abwesend, wie man sich den angehenden Nerd eben so vorstellt. Eduard aus Bayern ist das exakte Gegenstück dazu. Von der Games Academy erfuhr der gelernte Industriemechaniker beim Zeitschriftenblättern an einer Tankstelle, nun finanziert er den Kurs mit einem Kredit. Um die Rückzahlung macht er sich keine Sorgen. „Ich kenne meine Fähigkeiten.“ Sein Ziel: die Selbstständigkeit.

Männer unter sich, so sieht es zunächst aus. Doch Lara Croft, die den Eingang zur Damentoilette markiert, ist nicht die einzige Frau hier. Christine Dreiling aus Hannover nahm das Wagnis auf sich. Mit Erfolg: Die Jungs zeigten ihr, was an Ego-Shootern Spaß macht und dass Doom und Quake nicht nur Männersachen sind. Aber sie hat andere Pläne. Neuartige Lernspiele möchte sie kreieren, und ein Game für Frauen. Ziel des Spieles: die beste aller Zicken zu werden.

Ob auch hierzulande ein Bedarf an „femininen“ Spielen besteht, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass neue Märkte erschlossen werden müssen, denn die Zielgruppe der Hardcore-Spieler ist konstant und garantiert kein Wachstum. Nun richten sich alle Hoffnungen auf die „Causal Gamers“, also jenen Freizeitspielern, denen Moorhühner genug sind und die keine Lust haben auf 80 Seiten Bedienungsanleitung.

Genau genommen gehört auch Thomas Dlugaiczyk heute zu dieser Gruppe. Viel Zeit zum Spielen hat er nicht mehr, und wenn, dann begeistert er sich eher für Oldtimer wie die Wirtschaftssimulation „Vermehr 100“ aus den 80er-Jahren. Vielleicht ist das ja auch gutes Training für sein Unternehmertum. Pläne hat er jedenfalls genug. Neue Kurse sind in Planung, die Akademie soll in Zukunft auch eine Stätte der Forschung werden. Ende Mai wird es erstmals einen Kurs geben in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt Neukölln. „Das ist sicher nicht die Lösung des Arbeitslosigkeitsproblems. Aber es ist ein Beitrag.“

Das ist neu in der New Economy: ein Existenzgründer in der Medienbranche, ganz ohne Business-Pläne und Stock-Beteiligungen. Start-up als Sozialarbeit sozusagen. „Den ganz Jungen empfehlen wir, danach eine Ausbildung zu machen“, sagt Thomas Dlugaiczyk. Für den Schulabbrecher Rudolf Aschenbrenner hat er auch schon was ausgesucht. Was das ist, weiß Rudolf nicht so genau, aber es sei etwas „mit einem komplizierten Namen“. Thomas Dlugaiczyk wird sich schon kümmern. Herr und Frau Aschenbrenner müssen sich keine Sorgen machen.