„Ein Zimmer für mich allein“

Selbstironisch, auch wenn die Wunde protestiert: Sabine Zurmühls Biografie der DDR-Autorin Maxie Wander

Das Thema hat überhaupt nichts Aufregendes oder Einzigartiges, es ist mehr ein Allerweltsthema. Ob sie zufrieden mit ihrem Leben seien, welche Probleme es in der Partnerschaft gebe, welche Ziele sie hätten – Maxie Wander führte mit Frauen in der DDR Interviews, um ihre Befindlichkeit zu erkunden. Das Erstaunliche: Die aufgezeichneten Protokolle, erschienen unter dem Titel „Guten Morgen, du Schöne“, wurden ein Bestseller, sowohl in der DDR wie auch im Westen. Die Leserinnen erkannten in den aufgezeichneten Selbstzeugnissen sich selbst wieder. Maxie Wanders aufrichtiges Interesse hat es fertig gebracht, dass ihre Auskunftspersonen sich vorbehaltlos öffneten.

Den Erfolg ihres ersten und einzigen Buchs konnte die Autorin nicht mehr richtig erleben. Im Jahr seines Erscheinens, 1977, starb sie 44-jährig an Krebs. Auch ihre posthum von ihrem Mann herausgegebenen Briefe und Tagebuchaufzeichnungen („Leben wär’ eine prima Alternative“, „Ein Leben ist nicht genug“) erreichten hohe Auflagen. Nun hat die Berliner Journalistin Sabine Zurmühl die Biografie dieser Autorin geschrieben, die im Grunde erst nach ihrem Tod bekannt wurde: „Maxie Wander. Das Leben, dieser Augenblick“.

Aufgewachsen ist die kleine „Fritzi“ in Wien – die Eltern überzeugte Kommunisten, ihr Vater ist nach dem Krieg kurze Zeit auch Bezirksvorsteher (so heißt das in Wien und nicht „Bürgermeister“, wie es im Buch steht) von Wien-Hernals. 1958 wandert sie zusammen mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Fred Wander, in die DDR aus. Da ist noch die Hoffnung auf ein besseres Land, später kommt die Ernüchterung: „Hier fließt einem vieles zu, jedenfalls das Nötigste zum Leben, aber es ist entsetzlich langweilig und eng.“ Dabei gehörten die Wanders zu den Privilegierten in der DDR. Sie bewohnten ein Haus mit Garten und konnten jederzeit ausreisen. So auch einmal zu Studienzwecken nach Paris, er schrieb ein Reisebuch, sie machte die Fotos.

Zeitlebens stand Maxie Wander mehr oder weniger im Schatten ihres Mannes, der 1972 mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet wurde. Sie tippte seine Manuskripte ab, machte Gelegenheitsjobs und erledigte den Haushalt. Fast immer waren Gäste im Haus. Sie liebten das gesellige Zusammensein mit den Freunden – und litten auch darunter. Nie eine freie Minute für sich selber! Maxie Wander wünschte sich nichts so sehr wie „ein Zimmer für mich allein“.

Sie schaffte es dennoch, jeden Tag mehrere Briefe zu schreiben, an Freunde und tagtäglich einen an ihre Mutter nach Wien. Zeitlebens war sie ihnen eine Art Trösterin und Ratgeberin. Der warmherzige Ton und der dezente Witz erinnern geradewegs an den Briefeschreiber Anton Tschechow.

1968 erleidet die Familie einen schweren Schicksalsschlag: Ihre zehnjährige Tochter Kitty fällt in eine ungesicherte Baugrube und kommt ums Leben. Zurmühl schildert noch einmal dieses traumatische Erlebnis, das wir auch schon aus Maxie Wanders überaus berührenden Tagebuchaufzeichnungen kennen: Mit einer Schaufel versucht die Mutter vergeblich, die Tochter aus dem Kies zu befreien.

Tapfer und mit einer gehörigen Portion Selbstironie nimmt Maxie Wander auch die nächste (und letzte) Lebenskrise auf sich: ihre Krebserkrankung. „Bemale mir die Lippen und Wimpern, kämme mich, tadellos, obwohl die Wunde protestiert“, so eine Tagebucheintragung. Diese Wunde stammt von ihrer Brustamputation. Wieder erkennen wir eine Parallele zu Tschechow, der über seine (unheilbare) Tuberkulose-Erkrankung auch nie seine Späßchen verloren hatte.

„Reich begabt, liebenswürdig und verschwenderisch lebensfreundlich“, diese Charakterisierung trifft auf Tschechow zu, allerdings hat der Wiener Publizist Karl-Markus Gauß sie einmal für Maxie Wander gebraucht.

WENZEL MÜLLER

Sabine Zurmühl: „Das Leben, dieser Augenblick“. Henschel Verlag, Berlin 2001, 320 Seiten, 39,90 DM