Türkische Wirtschaftsreform wankt

Minister will entgegen Zusagen an IWF Subventionen nicht streichen und muss zurücktreten. Börse und Lira sacken ab

ISTANBUL taz ■ Am Donnerstagabend ist in der Türkei überraschend der für die Privatisierung der Staatsbetriebe zuständige Staatsminister Yüksel Yalova zurückgetreten. Zuvor war der Minister in der Provinz Aydin aufgetreten und hatte in einer Rede vor der örtlichen Handelskammer angekündigt, er werde das dem Parlament vorliegende neue Tabakgesetz nicht unterschreiben.

Die Aussage des Ministers löste binnen weniger Stunden erhebliche Turbulenzen an der Börse aus. Sie verzeichnete ein Minus von 5 Prozent, und die türkische Lira sackte erneut gegenüber dem Dollar und der Mark ab. Damit war das politische Schicksal Yalovas besiegelt. Obwohl er beteuerte, er sei falsch verstanden worden, musste er noch am selben Abend seinen Hut nehmen. Der Vorfall zeigt, wie fragil die politische Szene der Türkei zwei Wochen nach Abschluss des neuerlichen Stand-by-Abkommens mit dem Internationalen Währungsfonds ist.

Das umstrittene Tabakgesetz, gegen das Yalova sich gewandt hatte, ist nur ein Streitpunkt unter etlichen Maßnahmen, die die türkische Regierung dem IWF zugesagt hat. In allen Streitfällen geht es um die versprochene drastische Senkung der Staatsausgaben. Bislang hat der Staat die Tabakernten des Landes zu festgesetzen Preisen aufgekauft und zur Hälfte verbrannt, weil sie nicht verkauft werden konnten. Laut IWF-Programm muss diese Subvention abgeschafft werden. Heftige Proteste der Tabakbauern sind absehbar.

Zudem war es zu Beginn der Woche im Kabinett über die Weizenpreise und die Lohnrunde für den öffentlichen Dienst zu heftigen Konflikten gekommen.Wirtschaftsminister Dervis, der für die Implementierung des IWF-Programms zuständig ist, verließ Türen knallend die Kabinettssitzung, nachdem Gökalp einen zu hohen Mindestpreis für Weizen durchgesetzt hatte.

Bereits jetzt zeigt sich, dass es für Dervis in der amtierenden Koalition unmöglich wird, das IWF-Programm ohne Abstriche durchzusetzen, obwohl die gesamte türkische Regierung es unterschrieben hat. Vor allem die ultranationalistische MHP stellt sich immer stärker quer, weil sie merkt, dass ihr die Wähler in Scharen davonlaufen. MHP-Chef Bahceli beschuldigt Dervis bereits öffentlich, ein Agent des IWF und der USA zu sein und nicht die Interessen der Türkei zu vertreten. Demgegenüber verweist Dervis darauf, dass das für die Sanierung der türkischen Wirtschaft absolut notwendige IWF-Geld nur kommt, wenn das Reformprogramm eingehalten wird.

Der Dauerkonflikt in der Regierung hat bereits zu erheblichen Vertrauensverlusten bei Investoren geführt, so dass Dervis große Mühe hat, Staatsanleihen für die Schuldentilgung zu verkaufen. Der Rücktritt Yalovas könnte deshalb der Anfang vom Ende der Koalitionsregierung von Ministerpräsident Ecevit sein. Die türkische Großindustrie hat bereits deutlich gemacht, dass Dervis auch gegen seine bisherigen Koalitionspartner unbedingt unterstützt werden muss. „Wenn Dervis scheitert“, so Rami Koc, der mächtigste Industrieboss des Landes, „wird die Türkei auf das Niveau eines Drittweltlandes absinken.“ J. GOTTSCHLICH