Kultivierung des Spontanen

Das Bildhauerduo „weekend“ kommt am Freitag bei einem zu Hause vorbei und bleibt bis Sonntag, um in der Wohnung aus gebrauchten Allerweltsmaterialien ungewöhnliche Einbauten zu kreieren

von MICHAEL KASISKE

Bei einem ausgelassenen Essen gleichzeitig die Küche neu arrangiert zu bekommen ist hier nicht unbeabsichtigte Folge zu wilder Aktivität. Die Künstler Jeroen Jacobs und Lucio Auri nennen das Ereignis lakonisch „Kochen am Bau“, eine tatkräftig umgesetzte Verknüpfung des ephemeren Erlebnisses Essen mit dem bleibenden Ergebnis Einbau.

Zunächst erscheint es so, als würden Jacobs und Auri die vielen Gerätschaften – Herd, Kühlschrank, Waschmaschine – in eine Konstellation bringen, die sich von der konventionellen Einbauküche nur durch ihre expressive Gestaltung unterscheidet. Tatsächlich steckt dahinter das Konzept, zum einen die Qualität eines Raums durch einen spielerischen Umgang mit den Ansprüchen und den Gegebenheiten grundlegend zu verändern, zum anderen durch den Event den bisher privaten Raum öffentlich zu machen.

Doch nicht allein Küchen sind ihr Metier. Programmatisch steht die Zusammenarbeit unter dem Namen „weekend“. Damit ist schlichtweg gemeint, dass das Duo freitags kommt, bis sonntags bleibt und etwas in der Wohnung zurücklässt, vielleicht einen Küchenblock, auch Regale, ein Bett oder einen Schrank.

„Man kann im Vorfeld eines Entwurfs lange recherchieren, eigene Erhebungen vornehmen, viel skizzieren“, begann der Chef des bekannten niederländischen Büros für Landschaftsarchitektur West 8, Adriaan Geuze, mir zeitgenössische Entwurfsmethodik zu erläutern. „Wir bevorzugen es, Ideen innerhalb von wenigen Stunden intensiver Teamarbeit zu Papier zu bringen.“ Jacobs und Auri gehen noch einen Schritt weiter: Nach der ersten Besichtigung und einigen prinzipiellen Skizzen rücken sie mit dem Material in die Wohnung ein, Gestaltung und Fertigung sind dann fast ineinander übergehende Prozesse.

Lucio Auri ist Australier italienischer Abstammung und arbeitet als Maler und Bildhauer, Jeroen Jacobs kommt aus den Niederlanden und ist ebenfalls Bildhauer. Ihr Joint-Venture ist ein Cross-over von der Kunst zum Gebrauchsdesign, wobei die Wurzeln im skulpturalen Denken sichtbar sind. Der freie und ambivalente Charakter ihrer Einbauten widerspricht jedem Ordnungszwang und jeder Objektfixierung, die in den karg gestalteten Räumen gegenwärtiger Wohnungen üblich sind.

Dass ausschließlich gebrauchtes Allerweltsmaterial verwendet wird, verhöhnt geradezu alle weißen und chromblitzenden Interieurs. Ihren Werkstoffen wohnt eine zuweilen krude Nostalgie inne, etwa in den Eiche-rustikal-furnierten Spanplatten, dem Albtraum jeder kleinstädtischen Mittelstandskindheit. Ein Verfremdungseffekt tritt durch deren unbekümmerte Verwendung ein. Jacobs und Auri wollen mit ihrer anarchistisch erscheinenden Arbeit die Umwelten entblößen, in denen bekannte Designstücke oder -marken die Abwesenheit von Leben übertünchen. „Makedo“, bringt Auri es auf einen Begriff, der für die aus wenigen Ressourcen entstandenen Produkte australischer Einsiedler geprägt wurde.

Wo ist der Unterschied, mag mancher fragen, etwa zu dem Kochlöffel, mit dem der Vater einst die elektrische Zuleitung der Küchenlampe auf eine passable Länge brachte? Die Differenz zu dem mit der Anzahl der Bücher wachsenden Depot aus Ziegelsteinen und Brettern? Die Antwort liegt in der Kultivierung des Spontanen und in dem Wissen um die gestaltgebenden Elemente. Das Regal, das Jacobs und Auri für die Redaktion von Texte zur Kunst unter großem Zeitdruck anfertigten, hat trotz der Heterogenität der unterschiedlich furnierten Oberflächen und des springenden Rhythmus der senkrechten Zwischenwände einen klaren Aufbau. Zwischen einigen Brettern eingeschraubte Ausgaben des Kunstmagazins weisen auf den zukünftige Bestimmung als Depot für vorhergehende Ausgaben hin.

Die Schnittstelle zwischen Skulptur und Gebrauchsobjekt ist nicht lediglich eine Frage des Konzepts, sondern auch des Kunstmarkts, der zur Verselbstständigung eines Gegenstandes abseits seines Gebrauchs beiträgt. Der österreichische Bildhauer und Maler Heimo Zobernig etwa entwarf um 1990 ein Regal aus MDF-Platten, limitiert und signiert lieferbar. Mit ihrer Serie von Prototypen machte die Amerikanerin Andrea Zittel Mitte der Neunzigerjahre Furore; für ihre beengten New Yorker Wohnverhältnissen hatte sie kistenartige Objekte geschaffen, in denen Arbeitsplatz, Schlafstätte und andere Funktionen integriert waren. Kultiviert als eigenständige Skulpturen, wurde der Ausdruck zeichenhaft und wandte sich von den Improvisationen des Alltags ab.

Doch auch umgekehrt dringen Designer in den Kunstkontext vor. Während der diesjährigen Kölner Möbelmesse war bei der einst alternativen Schau „Passagen“ das Vexierspiel zwischen Kunst und Gebrauchsdesign deutlich spürbar. Die Kunst profitiert von dem einfachen Zugang zur Gebrauchsgestaltung, das Design vom Mehrwert der Kunst.

Die Frage „Kunst oder Design?“ spielt bei den Arbeiten von „weekend“ alias Jacobs und Auri eine ungeordnete Rolle. Indem die Auflage ihrer Einbauten durch die individuelle Fertigung ohnehin limitiert ist, die zwei Bildhauer gleichzeitig jedoch vorhandene Massenprodukte verarbeiten, verbinden sie beide Bereiche. Wie bei dem Bett, das sowohl praktisch zerlegbar als auch künstlerisch skulptural ist. Damit könnten sie den Möbelherstellern, die unter hohem Preis bei kleiner Stückzahl ächzen, eine Naselänge voraus sein.

„weekend“ alias Lucio Auri & JeroenJacobs: www.lucio-auri.net,LucioAuri@aol.com, Tel. 4 42 6644, jeroenjacobs00@hotmail.com, Tel. 44 04 31 68