Stellvertreter im Zwist ihrer Herren

„Eitelkeiten, schlechte Koordination und ein Abschieben der Verantwortung auf Beamte“ wie Steiner und Chrobog, so ein Vorwurf an die Regierung

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Manche in der Regierung halten die Angelegenheit für kaum mehr als eine bürokratische Panne. Der äußere Rahmen allerdings, in dem gestern der Auswärtige Ausschuss des Bundestages den Geheimnissen des „Gaddafi-Protokolls“ nachspürte, passte eher zum Vorwurf der Opposition, es gelte eine mittlere Staatsaffäre aufzuklären: Auf einem roten Teppich schritten Ankläger und Beschuldigte die reich verzierte Treppe im früheren Palais des Reichstagspräsidenten empor.

Deutlicher, als manchen Akteuren vielleicht lieb war, wurde auf der Treppe schon vor Beginn der geheim tagenden Runde das Kräfteverhältnis zwischen den eigentlichen Gegnern in der Affäre sichtbar: Michael Steiner, der außenpolitische Berater des Bundeskanzlers, kam allein – Jürgen Chrobog, der deutsche Botschafter in Washington, wurde gleich von zwei Vorgesetzten begleitet, Staatssekretär Ischinger und Außenminister Fischer. Drei zu eins stand es also gegen Steiner in der Frage, wer bei Gerhard Schröders Begegnung mit George Bush in Washington am 29. März ein bisschen übertrieben hat – der Kanzlerberater während des Gesprächs oder der Botschafter beim anschließenden Abfassen des Protokolls. Zum Schluss jedenfalls fanden sich in dem Fernschreiben Nr. 596 die inzwischen berüchtigten zwei Sätze: „Steiner berichtete über seine Gespräche mit Gaddafi in Libyen. Dieser habe eingestanden, dass sich Libyen an terroristischen Aktionen (La Belle, Lockerbie) beteiligt habe.“ Wie diese und weitere Sätze an die Öffentlichkeit gelangt sind und wer die politische Verantwortung dafür übernimmt, möchte der Ausschuss jetzt gerne wissen.

„Da gibt es ein paar Schuldige und viele Dumme“, vermutet Ex-Finanzminister Theo Waigel, der für die CSU im Ausschuss sitzt. „Eitelkeiten, schlechte Koordination und ein Abschieben der Verantwortung auf Beamte“ wie Steiner und Chrobog wirft der Liberale Werner Hoyer der rot-grünen Regierung vor. Tatsächlich wurde seit der ersten Presseveröffentlichung der Gaddafi-Zitate immer deutlicher, dass der Kanzlerberater und der Diplomat nur Stellvertreter im Zwist ihrer politischen Herren sind.

Joschka Fischer sieht mit gemischten Gefühlen, wie häufig und tief greifend sich Gerhard Schröder in die Außenpolitik einmischt, zuletzt in der Europafrage. Weil dem Kanzler aber niemand am Zeug flicken kann, konzentriert die Truppe um Fischer ihren Ärger zunehmend auf Steiner. In das Urteil der Diplomaten, der Kanzlervertraute neige zur Wichtigtuerei, passt auch die Mutmaßung, dass Steiner eine eher allgemeine Aussage Gaddafis über die Abkehr vom Terrorismus zum „Bekenntnis“ stilisiert hat.

Was die drei Protagonisten dann aber in der geheimen Anhörung dem Ausschuss bieten, zerschlägt alle Hoffnungen der Opposition, die Spannungen zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt durchleuchten zu können. Erst spricht Fischer, dann Steiner, zum Schluss und nur kurz Chrobog. Alle lesen vom Blatt ab, alle präsentieren eine Version, die die Frage offen lässt, wie Gaddafis angebliches Geständnis den Weg in das Protokoll fand. Besonders wichtig für den La- Belle-Prozess (siehe Text unten): Die drei beteuern, Gaddafi habe La Belle nie erwähnt. Was die Opposition besonders fuchst: Rückfragen an die zwei Beamte lässt der Außenminister fast nicht zu, er macht von seinem Recht Gebrauch, allein für die Regierung zu sprechen. Auskunftsfreudig ist er deshalb allerdings nicht. Auf die schlichte Frage, wer denn zu dem großen offiziellen Empfängerkreis von Chrobogs Bericht gehört habe, so erzählt ein Teilnehmer hinterher, habe Fischer eine halbe Seite seiner Aussage ein zweites Mal verlesen. „Wir konnten aus unserer Sicht, was es an Fragen gab, erschöpfend aufklären“, sagt Fischer anschließend in die Kameras. Christian Schmidt (CSU) hat die 90 Minuten anders erlebt. Erst ließ der Auftritt des Ministers es an neuen Erkenntnissen fehlen, „dann ging er in Frankfurter Unflätigkeiten über“. Jetzt solle der Kanzler persönlich Stellung beziehen.

Fischer unflätig? Gernot Erler (SPD) zuckt die Schultern. „Wir kennen ihn doch“, sagt er. „Die SPD hat kein Interesse, die Sache aufzuklären, und banalisiert sie mit hämischem Grinsen“, beschwert sich Ruprecht Polenz (CDU). „Die Regierung versucht durch Überheblichkeit zu kaschieren, dass die Nerven bloßliegen.“

Steiner und Chrobog spielen derweil doppeltes Lottchen. Seit’ an Seit’ haben sie sich durch das Gedränge gedrückt und hüpfen gemeinsam die Treppe runter. „Wir sind immer einer Meinung“, kräht der Botschafter zum Abschied. Es klingt allzu fröhlich.