Die Legende von der Gerechtigkeit

■ Das 3001 zeigt in dieser Woche den tadschikischen Film Der Flug der Biene

Als Alexander der Große sein Reich bis nach Zentralasien ausdehnte, gab es in einem kleinen Dorf, das heute Ascht heißt und im Süden Tadschikistans liegt, einen besonderen Brauch: Sehr alte Männer wurden von ihren Söhnen in eine Grube geworfen, wo sie elend verhungerten. Einer der Minister Alexanders versteckte seinen alten Vater jedoch in einer Kiste, die er überall hin mitschleppte.

Als die beiden mit dem Heer Alexanders in eine Wüste gerieten, wo sie zu verdursten drohten, riet der alte Mann seinem Sohn, er solle am frühen Morgen eine Schüssel Honig an einen erhöhten Platz stellen. Eine Biene würde kommen und davon trinken, sie würde Durst bekommen und versuchen, noch vor Sonnenaufgang Wasser zu erreichen. „Einen Faden sollt ihr an das Bienenbein binden und dann der Biene folgen“, empfahl der Alte und rettete so dem gesamten Heer das Leben. Seitdem werden alte Menschen bis zuletzt geehrt und gepflegt. Die Ruine eines Turmes erinnert aber bis heute an den Ort, an dem sich einst die Grube befand.

Diese Legende bildet den Rahmen für den Film Der Flug der Biene von Djamshed Usmonov und Min Wen Hun, der während des Krieges Mitte der 90er-Jahre mit einer einzigen Kamera in Usmo-novs Heimatdort Ascht gedreht wurde. Die Geschichte sei wirklich passiert, sagt Regisseur Usmonov, inzwischen sei sie „Teil der Familienmythologie“.

Die Hauptperson, ein armer Dorflehrer (Muhammadschoni Schodi), erzählt die Legende in der Naturkundestunde; gleichzeitig stellt sie die heroische Metapher dar für seine eigene, leider erbärmlich unheroische Biographie: Sein reicher Nachbar baut nicht nur direkt an seiner Hauswand eine Toilette, die über die Grundstücksmauer hinweg stinkt, sondern glotzt von dort aus auch der Frau des Lehrers nach. Der Bürgermeis-ter, bei dem sich der Lehrer beschwert, erweist sich als korrupter Befürworter der Unantastbarkeit von Eigentum und versagt ihm die Unterstützung.

Kurzerhand verkauft der Lehrer in Kohlhaas'scher Manier Hof und Herde und beginnt den Kampf um „Gesetzlichkeit, Ordnung und Menschlichkeit“. Er erwirbt das Nachbargrundstück des Bürgermeisters und gräbt dort eine eigene Toilette, die für das gesamte Dorf zugänglich sein soll. Der Bürgermeister droht im Gegenzug, ihnen das Leben so schwer zu machen, dass sie lieber sterben wollen.

Schritt für Schritt nähert sich der Racheakt der Katastrophe: Der Lehrer übernachtet in der Grube, damit sie niemand zuschütte; im Streit mit seiner Frau siegt der Wille, weiter zu graben; schließlich wird sein Sohn wegen eines Diebstahls, den er nicht begangen hat, zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt; der Lehrer selbst wird von einem Auto angefahren und erstickt kurze Zeit später fast unter herabstürzenden Erdmassen.

Doch unten in der Grube sammelt sich Trinkwasser – statt einer öffentlichen Toilette ist ein Brunnen entstanden. Auch dieses Wasser wird süß schme-cken, so das Versprechen, „die Honigbiene baut auch dort ihr Haus“. Fast ein Happy End, wäre da nicht das Opfer, das die Frau bringt, um ihren Sohn aus der Haft freizukaufen.

Usmonovs und Huns Schwarz-Weiß-Film erzählt die Geschichte über die desperate Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Glück mit langen, postkartenartigen Einstellungen. Die Kamera (gleichfalls von Hun) ist schon da, bevor die Protagonis-tInnen hineinlaufen, folgt ihnen dann ein Stück und bleibt noch auf die Kulisse gerichtet, wenn sie wieder aus dem Blickfeld verschwunden sind. Diese stille Nachdenklichkeit zieht sich durch den gesamten Film – von einem „Sieg des Guten über das Böse“, wie in der Ankündigung des Verleihs zu lesen, ist leider wenig zu merken.

Katja Strube

Do, Fr + Mo–Mi, 18.30 Uhr, 3001