Thema durch und basta

Hat die Kommunikationswissenschaft ihre braune Vergangenheit aufgearbeitet? Die entsprechende Aussprache fand ohne Elisabeth Noelle-Neumann statt – die hatte für Goebbels „Reich“ geschrieben

aus Münster STEFFEN GRIMBERG

Nun war sie also doch nicht da: Elisabeth Noelle-Neumann hatte kurzfristig die Teilnahme an der Podiumsdiskussion über die NS-Vergangenheit der deutschen Kommunikations- und Medienforschung absagen müssen.

Auf Anraten ihrer Ärzte, so hieß es. Stattdessen stand am Mittwoch eine Mitarbeiterin ihres Allensbacher Instituts für Demoskopie im ehrwürdigen Rathaussaal zu Münster und verlas eine längere Literaturliste. Die sollte wohl belegen, dass sich das Fach und seine Nestorin nichts vorzuwerfen hätten: Das Thema ist durch und basta. „Wir können doch wirklich glücklich sein, wie gut sich unser Fach entwickelt hat“, ließ Noelle-Neumann verkünden und wich damit gekonnt dem Kern der Debatte aus: Dass sie kein Nazi war, habe schließlich selbst Lea Rosh erkannt. Das hatte allerdings auch niemand behauptet.

Auslöser der Kontroverse war vielmehr ein Artikel des Dortmunder Medienwissenschaftlers Horst Pöttker. Er hatte im Fachorgan Aviso der deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaften (DGPuK) auf die institutionellen Verstrickungen führender Nachkriegsrepräsentanten des Faches im Dritten Reich abgehoben und eine offene Diskussion über eben diese Kontinuitäten eingefordert (siehe taz vom 22. 5.). Doch die DGPuK tut sich mit der Enttabuisierung des Themas schwer, allen voran ihr Ehrenmitglied Noelle-Neumann: „Was treibt Pöttker dazu, mich als der nationalsozialistischen Ideologie dienende Schreibtischtäterin bei der jungen Generation anzuschwärzen?“, klang es verletzt im verlesenen Sendbrief aus Allensbach.

Auch andere „Mitglieder der Gesellschaft fühlten sich persönlich beleidigt“, betonte DGPuK-Vorstand Hans-Bernd Brosius noch einmal einen Tag später bei der offiziellen Jahreshauptversammlung der Gesellschaft. Zwar hatte Noelle-Neumann im NS-Regime unter anderem für die renommierte Frankfurter Zeitung, aber eben auch für Goebbels Reich gearbeitet und nach dem Verbot der Frankfurter Zeitung nach eigenen Angaben nur noch „unpolitische Unterhaltung, Serien für Illustrierte“ geschrieben. Aber „auf die Idee, dass meine journalistische Arbeit dem Regime nützen könnte, kam ich bestimmt nicht“, so Noelle-Neumann in einem Aufsatz aus dem Jahr 1997, den sie zur Podiumsdiskussion verteilen ließ. Doch genau hierum ging es Pöttker: „Die moralisierende Frage nach Schurken und Helfershelfern lenkt von der Kernfrage ab“, entscheidend sei aber vielmehr die Frage nach „Handlungen, auf die sich das Regime stützen konnte“ – und wie sich diese handelnden Personen nach der NS-Diktatur zu ihrer Rolle im Dritten Reich gestellt hätten.

Richtig kontrovers wurde es trotzdem nicht: Weil die Kronzeugin fehlte, hielten drei beschlipste Herren viel zu lange Kurzreferate und verwiesen Pöttker auf die große Zahl an Aufsätzen und Arbeiten zum Thema: Selbst wenn eine übergreifende Darstellung, die auch die angemahnte Fachgeschichte umfasst, fehle, habe die Zunft ihre Hausaufgaben gemacht – so der überwiegende Tenor.

Nur Moderator Wolfgang Langenbucher, selbst so etwas wie ein Nestor seines Faches, bekannte in schönster Offenheit und unwidersprochen eine bisherige „Interessenlosigkeit dem Thema gegenüber“, das sei aber auch nicht wirklich schlimm, schien Langenbucher damit sagen zu wollen: Bei den Historikern hätte es schließlich auch bis 1998 gedauert, bis sie sich mit der eigenen Fachgeschichte auseinander gesetzt hätten. Wie gut, dass die Publizistik im Vergleich zur Geschichtswissenschaft noch eine verhältnismäßig junge Disziplin ist.