asian underground: die platten, die partys
: Was vom Boom geblieben ist: das Neueste aus dem Tabla- und Breakbeat-Schmelztiegel

Ein Himmel voller Sitars

Mit Trendbegriffen ist das so eine Sache. Erst wollen alle dazugehören. Doch dann, wenn die Karawane weitergezogen ist, fürchten die Protagonisten das Stigma, Schnee von gestern zu sein. Beim Asian Underground läuft das nicht anders als bei anderen britischen Hypes wie Acid Jazz, Jungle und Two Step.

Anfang der 90er war der Kampf aber noch ein anderer. Da ging es um Anerkennung: „Big Trouble in Little Asia“ kündigten 1994 die Rapper von Hustlers HC auf einer der ersten britisch-indischen HipHop-Scheiben an, und Fun-Da-Mental irritierten die Öffentlichkeit, als sie die Fatwa über Salman Rushdie nicht verurteilten, sondern mit der radikalen Nation of Islam aus den USA liebäugelten. Die Asian Dub Foundation wiederum geißelte Rassismus und Ignoranz und setzte sich mit einer Kampagne für ihren Altersgenossen Satpal Ram ein, der ins Gefängnis kam, weil er einen rassistischen Angreifer ermordet hatte. Es war die Zeit der Auflehnung, auch gegen das Klischee vom braven indischen Mitbürger in Großbritannien, der Imbissbuden betreibt, verschiedene Drecksarbeiten machte und vielleicht, mit etwas Glück, mal Arzt wurde. Cool war er aber nicht: Kulturell hatte er nichts drauf, sondern vergnügte sich bei faschingsähnlichen Bhangra-Partys. Das war das Bild, an dem der Underground erfolgreich zerrte.

Mit der Zeit wurde „Asian“ cool. Und die Coolsten trafen sich montags im Londoner Blue Note Club bei den „Anokha“-Nächten. Talvin Singh war dort Spiritus Rector, und statt der bäuerlichen Dhol-Trommel des Bhangra aus dem Punjab wurde die klassische Tabla zum Bezugspunkt und der hippe Drum ’n’ Bass zum Medium der Bewegung. 1997 erschien die erste „Anokha“-Kompilation mit dem klangvollen und einprägsamen Untertitel „Sounds of the Asian Underground“. Der Begriff war geboren, der Boom nahm seinen Lauf, doch mit einer Einheitsfront des Asian Underground war es nie besonders weit her.

Und heute? Die stilistische Bandbreite ist vielfältiger denn je. Von Post-Bhangra bis Raga-Ambient reicht das Spektrum.

Talvin Singh hat gerade sein zweites Soloalbum „Ha!“ (Mercury) vorgelegt, eine intelligente und virtuose Kombination aus indischen Gesängen und Rhythmen, mit Beats aus dem Repertoire der aktuellen elektronischen Clubmusik. Außerdem produzierte er mit Bill Laswell das avantgardistische „Tabla Beat Science“-Projekt (Palm Pictures/Zomba) mit Größen wie Trilok Gurtu und Zakir Hussain. Nitin Sawhney, einst als Jazzmusiker unterwegs, bastelt auf „Prophesy“ (V2) an einer kulturübergreifenden und eleganten Popmusik, in der Indisches nur als Zitat auftaucht. Auch DJ Badmarsh und sein indischer Partner Shri, gelernter Tablaspieler, Rockfan und Bassautodidakt, vor zwei Jahren noch als „new generation“ eingeführt, klingen auf ihrem neuesten Werk „Tribal“ (Outcaste/Connected) ziemlich erwachsen und relaxt, trotz gelegentlicher Ausflüge zu Breakbeats und Ragga.

Eine härtete Gangart vertritt nach wie vor Joi, eines der ältesten Soundsystems der Szene. Nach dem tragischen Tod seines Bruders Haroun vor zwei Jahren legte Farouk Shamsher, die verbliebene Hälfte von Joi, letztes Jahr das Meisterwerk „We Are Three“ (Real World/ Virgin) vor. Eine hoch energetische, gleichzeitig spirituelle Hommage an seinen Bruder auf der Basis von Klangmaterialien, die Haroun selbst noch in Bangladesh aufgenommen hatte.

Black Star Liner, eine Asian-Dub-Rock-Band aus Leeds und damit weit weg vom Londoner Szene-Hick-Hack, wird in Deutschland gerade durch die Wiederveröffentlichung ihres 96er-Albums „Yemen Cutta Connection“ (Echobeach) neu entdeckt. Sowieso findet man die größten asiatischen Communitys nicht in London, sondern in den Midlands um Birmingham. Dort residieren die meisten Bhangra-Bands, aber auch innovative DJs und Produzenten wie Panjabi MC, dessen letztes Album „Switchin“ (Musicbox) einige grandiose Bhangra-Twostep Knaller vorweisen kann. Hierzulande sind seine Werke noch sträflich unentdeckt.

Aber zurück nach London: Fun-Da-Mental waren gerade in Pakistan und Südafrika und werden in Kürze eine neues Album mit Qawwal-Gospel-Dub veröffentlichen. Der dienstälteste britisch-asiatische Produzent, Bally Sagoo, der sein Gesellenstück vor zehn Jahren mit Remixen von Nusrat Fateh Ali Khan ablieferte, zeigt auf „Dub of Asia“ (Echobeach), dass Dub und indischer Gesang wunderbar harmonieren, oder er covert auf „Bollywood Flashback 2“ (Ishq Records) alte Bollywood Filmhits mit Break- und Elektro- Beats. Diese Mischung vermutet man ebenfalls bei „Bollywood Funk“ und „Bollywood Breaks“ (Outcaste/Connected), zwei trendy aufgemachten Kompilationen. Dahinter verbergen sich allerdings 60er-Jahre-Original-Soundtracks in schrabbeliger Qualität für Rare-Groove- und Easy-Listening-Enthusiasten. Ein wahrscheinlich kalkuliertes Missverständnis, das mit aktuellen Breakbeats wenig zu tun hat.

Inzwischen gibt es neu-asiatische Töne auch von Nichtasiaten, wie dem Jazz-meets-Sitar-Projekt Mukta aus Frankreich, nachzuhören auf „Dancing On One’s Hands“ (WEA). Oder Recycler, gleichfalls Franzosen, die mit asiatischen Samples ihre wilden Breakbeat-Elektro-Eskapaden veredeln. Irgendwie gehört auch der Sitarspieler Mungal dazu, ein indischstämmiger Musiker von der Karibikinsel Trinidad-Tobago, der sich mit seinem jüngsten Album „Dreadlocks“ (Virgin) im TripHop-Lager einige Freunde machen dürfte. Und in den USA lieferte der algerische DJ Cheb i Sabbah zusammen mit indischen Meistermusikern mit „Shri Durga“ und „Maha Maya“ (Six Degrees) die Referenzscheibe für indischen Raga-Crossover. Die neuasiatische Klangwelt ist in wenigen Jahren enorm gewachsen. Und wem haben wir das zu verdanken? Dem Asian Underground.

TOBIAS MAIER

Termine: Berlin: „Asian Underground“, alle zwei Monate freitags, Roter Salon Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz. DJs: Minsky und Shazam

Frankfurt am Main: „Indian Vibes“, zweiter Mittwoch im Monat, Nachtleben, Kurt-Schumacher-Straße 45, DJ Eastenders & Guests. Am 13. Juni mit Lelonek (Anokha/ 1K Rec. London). Außerdem Veranstaltungen im Unity.

London: „Anokha“, unregelmäßige Clubabende in der Fabric 77 a Charterhouse Street, EC1M und im 93 Feet East, 150 Brick Lane, E1; DJs: Talvin Singh, Cleveland Watkiss, Equal-I, Osmani Soundz etc. www.anokha.co.uk

„Outcaste“, donnerst., Cargo, Kingsland Viaduct, 83 Rivington St, Shoreditch, EC2. London. DJs: Shabs, Sutrasonic, Badmarsh. www.outcaste.com

Tobias Maier moderiert samstags die Sendung „Global Dancehall“ auf Radio SFB 4 Multikulti