Im Visier der kleinen Mädchen

In ihrer Heimat Frankreich haben sich Sawt El Atlas in kurzer Zeit zur bevorzugten Teddybär-Zielscheibe hochgespielt. Doch die beiden Sänger Kamel El Habchi und Mounir Mirghani sind mehr als nur eine attraktive Boygroup des Rai

Hat eigentlich irgendwer bemerkt, dass Faudel, der kleine, süße und verdammt erfolgreiche Prinz des Rai und Traum aller maghrebinischen Schwiegermütter, in den vergangenen zwei Jahren von der Bildfläche verschwunden war? Das Segment des franko-arabischen Groove-Pop jedenfalls wurde währenddessen fast lückenlos von den smarten Sängern Kamel El Habchi und Mounir Mirghani samt ihrer Band Sawt El Atlas (Die Stimme des Atlas) übernommen.

Doch auch wenn die Kinder marokkanischer Einwanderer dank der Lovesongs ihres zweiten Albums „Donia“ (Sony) inzwischen in Frankreich zur bevorzugten Teddybär-Zielscheibe enthemmter Teenies geworden sind: Sawt El Atlas sind mehr als bloß die Boygroup des Rai. Mögen sich Kamel und Mounir von den politisierenden Texten ihres Debütalbums „Généraliser“ verabschiedet haben, so schwingt in der Geschichte der Band doch immer das Thema der Einwandererkinder mit: In Frankreich geboren, mit marokkanischen Traditionen groß geworden, fühlen sie sich beiden Kulturen verbunden. So klingt auch die Musik von Sawt El Atlas: eine Melange aus Chaabi-Grooves und Funkyness, aus vokalen Arabesken und andalusischer Eleganz. Damit zeigen sich Kamel und Mounir, die vor über zehn Jahren, mit gerade mal zwölf Jahren, als Sänger zusammenfanden, ganz als Kinder jener zweiten Generation, die davon profitiert, dass Künstler wie Rachid Taha den Mut aufbrachten, die Musik ihrer Heimat mit Rock und Pop zu vermählen, und die arabische Sprache in die französischen Charts brachten.

Als Sawt El Atlas 1992 auf einer kleinen Nebenbühne bei den Francofolies in La Rochelle auftraten, war das Interesse eines breiten Publikums für multiethnische Musikentwürfe längst da. Kein Wunder also, dass Bernard Batzen, als Manager und Agent einer der Väter des Erfolges von Mano Negra und der Rap-Gruppe IAM, in Sawt El Atlas die Zukunft des frankomaghrebinischen Pop erblickte. Ihm ist es zu verdanken, dass Sawt El Atlas auf allen wichtigen Festivals des Landes spielten und 1996 ihr erstes Album herausbringen konnte. Das Jahr 2000 brachte schließlich den Übernachterfolg, für den Sawt El Atlas zehn Jahre gearbeitet hatten: Die schmusige Single „Ne Me Jugez Pas“ war Zugpferd für das Album „Donia“, und so konnten Sawt El Atlas triumphal nach La Rochelle zurückkehren. Nicht nur dort haben sie bewiesen, dass frankoarabische Popmusik, deren lyrisches Schwergewicht darauf liegt, die Angebetete als „die Sonne meines Lebens“ zu preisen, nicht platt sein muss. Und die Abwesenheit von vordergründig politischen Themen kann auch als Anzeichen dafür gewertet werden, dass im Einwanderungsdiskurs so etwas wie Normalität einkehren kann – auch wenn man darüber weder Rassismus noch soziale Ungerechtigkeit vergessen darf.

Lange aber können Kamel und Mounir ihren Triumph nicht mehr auskosten. Denn gerade hat Faudel sein zweites Album veröffentlicht und dürfte nun seinen Anteil an der Teddybären-pro-Konzert-Quote wieder einfordern. BJÖRN DÖRING