Nomadisieren, harmonisch, wagemutig.

■ Für die „Komödie der Irrungen“ engagierte die Shakespeare Company gleich drei neue SchauspielerInnen, alle um die 30 Jahre. Wie stehen die zum 68er-Geist dieses hierarchiefreien Betriebs?

taz: Gleich drei neue Schauspieler – ist das nicht schwierig?

Sebastian Kautz, Regisseur der Irrungen: Im Gegenteil. Es ist spannend zu sehen, was die für ein Pfund mitbringen. Es gibt bei der Company viele unverzichtbare Traditionen, wie zum Beipiel die offene Spielweise und die Doppelbesetzungen, aber wir brauchen auch die Visionen und Begabungen der Neuen. Es spielen zum Beispiel viele unserer Schauspieler ein Musikinstrument, was ich in der „Komödie der Irrungen“ auch genutzt habe.

Es existiert das Gerücht, es gebe einen Richtungsstreit zwischen Gründervätern und Jungen.

Kautz: Hier gab es immer einen Diskurs darüber, wie sehr man sich auf Shakespeare spezialisieren soll und ob unsere Generation der 30-Jährigen nicht auch andere Stücke will. Diese Diskussionen sind schwierig, aber wichtig.

Harald Sommer, 31 Jahre: An der Idee des Volkstheaters halten wir fest, aber diese Idee verändert sich natürlich ...

Kautz: ... zumal dieses Theater ein Geisteskind der 68er ist, und wir 30-Jährigen eher durch die 80er geprägt sind. Das ist der biologische Faktor, der garantiert, das dieses Theater immer nach neuen Visionen suchen wird.

Sommer: 68 ist für uns Geschichte ...

Petra-Janina Schultz, 29 Jahre: ... aber man kann doch davon etwas mitnehmen, und das wird doch hier auch so gemacht. Es ist ja keineswegs so, dass uns das nicht mehr interessiert. Dieses Theater ist schließlich aus 68er-Ideen entstanden. Und es ist wichtig für das Haus, dass das respektiert wird, aber auch die Erfahrungen von uns Jungen beachtet werden.

Sommer: Aber auch die 68er haben sich schließlich gewandelt...

Wie Joschka Fischer?

Sommer: Hier zum Glück in eine andere Richtung.

Aber die Shakespeare Company wird wie die taz rein strukturell immer klassisches 68 sein: Viel arbeiten für wenig Geld, nicht wegen Konsum- oder Karrieredenkens, sondern weil man's sinnvoll findet.

Sommer: Idealismus gab es vor und nach 68.

Die blöde alte Frage: Wie hat es euch hierher verschlagen?

Schultz: Meine Schauspielausbildung habe ich an einer private Schauspielschule in Berlin gemacht. Dann war ich ein Jahr am Jungen Theater München, drei Jahre am Stadttheater in Erfurt und zuletzt am Kresch Theater in Krefeld.

Ein Off-Theater?

Ja. Ach Moment mal, ich glaube das stimmt gar nicht. Da hatte ich auch nur einen Stückvertrag.

Ein gefahrenreiches, nomadisierendes Leben.

Genau das finde ich schön. Einer der Gründe, warum mir mein Beruf gefällt – neue Städte kennenzulernen. Und bei der Company habe ich auch eine neue Arbeitsweise erlebt. Wie offensiv hier mit dem Publikum umgegangen wird, das kommt mir sehr entgegen. Ebenso wie die schnellen Rollenwechsel.

Und die Spezialisierung auf Shakespeare?

Ich habe früher mehr Zeitgenössisches gespielt, dafür noch niemals Shakespeare. Für mich ist das ebenso spannend wie das neue Projekt der bewährten Comedian-Harmonists-Crew: ein Stück über Rio Reiser. Diese Entwicklung eigener Stücke am Haus ist für mich ganz neu.

Janina Sablotzki, Sie kommen aus Bremen und in Ihrer Bio steht, Sie haben mit 17 Jahren im Hamlet mitgespielt.

Janina Sablotzki, 28 Jahre: Ach, das war ein Schul-Projekt: 20 Minuten Hamlet, als ob das ginge. War aber eine schöne Erfahrung. Und weil ich unter den besten Dreien war, durfte ich sogar spielen bei der Eröffnung des Globe Theaters in London.

Sie waren auch am „Jungen Theater“ in Bremen.

Ein Jahr lang, das ist drei, vier Jahre her.

Und dann haben Sie Kulturwissenschaft und Philosophie studiert und wollten weg von der Schauspielerei?

Ich war in einer verzwickten Situation: Ich bewarb mich an Schauspielschulen. Und in der Endrunde hieß es dann immer: Was wollen sie an einer Schauspielschule, Sie sind doch schon fertig, gehen Sie doch gleich ans Theater. Was natürlich gar nicht so einfach ist. Also studierte ich, jobbte ein Jahr als Stewardesse, verkaufte Schuhe, habe gekellnert, habe am Fließband gestanden, – bei Kraft Jacobs, Kling Kling Kling, gucken, ob bei den Gläsern alles in Ordnung ist. Einpacken. Zukleben. Und dann wusste ich: ich muss zurück zum Schauspiel.

Der Herr.

Sommer: Ich komme aus Wien. Dort habe ich erst Medizin studiert, abgebrochen. Ich machte eine Regiehospitanz am Volkstheater in Wien, völlig naiv. Das erste Mal bestetzt wurde ich, weil einer krank war.

Absolut typisch.

Regieambitionen habe ich immer noch. Aber dann dachte ich mir, ich sollte zuerst Schauspieler werden. Denn es ist relativ einfach, ästhetische Visonen zu entwickeln, aber an deren Verwirklichung scheitern doch sehr viele Regisseure, weil es an praktischem Erfahrungsschatz fehlt.

Nach Wien?

... war ich drei Jahre am Augsburger Stadttheater.

Hartes Brot.

Gar nicht mal so. Gerade in kleineren Städten genießen Schauspieler sowas wie Anerkennung. Ich ging dann aber lieber mit unserem Intendanten mit nach Rostock.

Uff.

Das war eine – – – – eigene Erfahrung. Die Arbeitsauffassung ist sehr unterschiedlich. Dort herrscht eine andere, aber keineswegs schlechtere Stimmung. Allerdings gibt es Probleme mit dem Publikum. Das Theater ist nicht so präsent in der Stadt als kulturelle Selbstvergewisserung wie im Westen.

Unser Klaus Pierwoß steht ja sehr auf Schüler der Ostberliner Ernst-Busch-Schule.

Kautz: Weil er dort Direktor war. Und als er wegging, hat er einen ganzen Studienjahrgang mitgenommen. Das sind durchaus gute Leute.

Wie war das Vorsprechen?

Sommer: Meistens sind die Vorsprechen ganz furchtbar. Ich habe in diesem Jahr schon einige hinter mir. Bei der Company ist das ganze Ensemble anwesend, und dann wird wohl eine Art Konsensentschluss gefasst – das finde ich sehr sympathisch.

Wird das Leben für Euch härter durch die ewigen Kulturkürzungen?

Schultz: Die Situation ist schon sehr dramatisch. Es ist schwer, einen Job zu finden. Dieses dauernde Vorsprechen kenne ich auch zur Genüge.

Sommer: Es wird dichter. Denn an vielen Stadttheatern wird absurderweise der organisatorische Apparat aufrecht erhalten und am künstlerischen Personal gespart.

Was reizt Euch an der Shakespeare Company?

Schultz: An Stadttheatern wird oft noch nach Typen besetzt. Hier dagegen wird man nicht auf bestimmte Rollen reduziert. Außerdem ist man hier nicht Angestellter, sondern mitverantwortlich. Hier wird gemeinschaftlich beschlossen, welche Stücke gemacht werden ...

Sommer: ... und man muss das nicht am schwarzen Brett nachlesen...

Schultz: und dafür arbeitet man schon mal länger...

Kautz:... und klebt dann auch schon mal Plakate.

Was macht Ihr außer Kleben nach der Arbeit?

Schultz: Im Moment noch Wohnung einrichten, die ist noch nicht richtig vorhanden.

Sablotzki: Im Garten lesen oder fahrradfahren.

Sommer: Ich studiere Kunstgeschichte und Germanistik – ich habe sogar über Shakespeare mal eine Prüfung machen müssen...

Schultz: ... bestanden?

Sommer: Ja, sogar. Außerdem schreibe und zeichne ich viel.

Wie in der taz gibt es bei Euch heftige Rotationen. Wie lange werdet Ihr hier bleiben?

Sommer: Solange ich hier lernen kann und ich nicht in einem Kreisel aus Wiederholungen feststecke.

Sablotzki: Da core.

Schultz: Ich schließe mich an. Diese erste Produktion ist sehr harmonisch verlaufen, – und das ist beileibe nicht typisch für den Theaterbetrieb. Wenn das so bleibt, bleibe ich. Fragen: bk

Foto: Stefan Bargstedt//rechts die Blonde ist . Janina Sablotzki