Pokal tröstet nicht

Patrick Proisy wollte Straßburg zu einem europäischen Spitzenteam machen, jetzt ist Racing abgestiegen

STRASSBURG taz ■ Allenfalls die Hölle ist besser bewacht als das Straßburger „Stade de la Meinau“. Der Zerberus des elsässischen Traditionsvereins heißt Jean André, verteilt Arbeitskarten und vermutet hinter jedem Sportjournalisten einen hinterhältigen Gesellen: „Diese Faxe aus Deutschland kennt man ja. Meistens sind das Leute, die nur mit ihrer Freundin ein Fußballspiel sehen wollen.“ Überhaupt sei es eine interessante Frage, was einen denn in Deutschland das Schicksal des Klubs interessiere: „Jetzt, wo es uns schlecht geht, wollen alle über uns berichten.“

In der Tat ist derzeit das Interesse an Racing enorm. Denn der Verein, der mit einigen Unterbrechungen seit den 30er-Jahren der ersten französischen Liga angehört, kann zwar am morgigen Samstag französischer Pokalsieger werden, ist aber gerade sang- und klanglos als Tabellenletzter in die Zweite Liga abgestiegen. Umso überraschender verlief der Weg ins Pokalfinale, auf dem die Straßburger hohe Favoriten wie Lyon und Nantes mit 3:0 und 4:1 abfertigten. Im Pokal, so scheint es, machen die Elsässer Kräfte frei, die sie in der Liga nur sporadisch abrufen konnten. Und so würde es an ein Wunder grenzen, fände deren Siegeszug nun ausgerechnet gegen den Drittligisten Amiens ein Ende.

Doch selbst wenn die Runde morgen noch zu einem halbwegs versöhnlichen Abschluss kommen sollte – im Elsass tröstet das niemanden über eine Saison hinweg, die katastrophaler kaum hätte laufen können. Denn nunmehr findet im gesamten Nordosten Frankreichs nur noch bei Aufsteiger Sochaux Erstligafußball statt. Und der Weg nach Deutschland ist nur geografisch nah. Trotz der geringen Distanz verirren sich nur selten Elsässer ins Freiburger Dreisamstadion. Da ist die Affinität zum Karlsruher SC schon größer. Regelmäßig hängen zwei KSC-Transparente in der Racing-Kurve.

Stefan Stuber vom bundesweit einzigen deutsch-französischen Fanclub „Blue Pirates“ teilt an den Wochenenden seine Sympathien zwischen dem KSC und Racing. Und schwärmt noch heute von den Zeiten, als der elsässische Traditionsverein in Liverpool kickte: „Die Anfield Road ist ein Traum für jeden Fußballfan. Da kannst du als Zuschauer den Rasen fast mit den Händen berühren.“

Redet Stuber von der Gegenwart, gerät schnell Sarkasmus in seine Sätze. Für ihn – wie für die Mehrheit der Fans vor Ort – steht der Schuldige an der Misere fest: „Patrick Proisy hat es ja jetzt geschafft. Seit er vor drei Jahren Präsident wurde, ging es bergab. Jetzt sind wir abgestiegen.“ Stuber zögert nicht lange, um Proisys Fehler aufzuzählen. Mit Claude Le Roy habe der Präsident einen Laien ohne Diplom und Sachverstand zum Trainer ernannt. Und auch im Management herrsche seit Proisys Amtsübernahme die Inkompetenz: „Ich habe gehört, dass es dem Verein wirtschaftlich ganz schlecht geht.“ Gehört hat so etwas fast jeder, der sich mit Racing befasst. Nur zitiert werden will niemand. Journalisten, die von illegalen Handgeldern berichten, Spieler-Väter, die aus sicherer Quelle vom baldigen Konkurs des Vereins wissen wollen – im Umfeld von Racing ist es schwer, Fakten zu sichern.

Der ehemalige Tennisprofi Proisy pflegt als Repräsentant des Vereinseigners, der weltweit operienden McCormack-Vermarktungsgruppe IMG, ein eigenwilliges Geschäftsgebaren: So soll der paraguyische Keeper José-Luis Chilavert, der angeblich pro Monat über eine Million Francs kassiert, nicht vom klammen Verein, sondern von IMG bezahlt werden. Immerhin, mittlerweile sind die Fans trotz des Abstiegs wieder mit ihrem Team im Reinen. Denn der ehemalige Racing-Spieler Yvon Pouliquen hat zu Beginn des Jahres den unglücklichen Le Roy abgelöst. Dass er nicht gerade als Freund des zur Selbstherrlichkeit neigenden Proisy gilt, macht ihn nur noch beliebter.

Zumal die Blau-Weißen seit Januar wieder einen gepflegten Ball spielten, wobei sowohl der dribbelstarke Pascal Camadini als auch Guy Luyindula in der Lage sind, für Überraschungsmomente zu sorgen. Dass vorne in schöner Regelmäßigkeit das Tor verfehlt wird, ist für Pouliquen da nur logisch: „Das ist die Nervosität, die sich einstellt, wenn du unten stehst.“

Nun also soll morgen das Pokalfinale gewonnen werden. Das wäre auch im Interesse Proisys, der dringend Erfolgserlebnisse vorweisen muss, um aus der Kritik zu geraten. Der umstrittene Jetsetter, der zu Racing-Spielen per Helikopter aus Paris eingeflogen wird, sucht derweil sein Heil in der Flucht nach vorn. Mit dem ehemaligen Racing- und KSC-Spieler Marc Keller wird ab sofort ein weiterer Exspieler als neuer Manager des Clubs verpflichtet. Und auch an Yvon Pouliquen kommt Proisy nicht mehr vorbei: Er werde sich „einer Weiterbeschäftigung nicht entgegenstellen“, gab er noch vor dem Pokalfinale kleinlaut zu Protokoll. CHRISTOPH RUF