Design zum Lümmeln und Fläzen

■ „60er. Positionen des Designs“ im Focke-Museum zeigt passend zur 68er-Debatte den Plastikstuhl zum linken Bewusstsein und mehr

Von außen ist das Prachtstück der Ausstellung nichts als ein Kubus in den gruselig pink-lilalastigen Regenbogentöne nder S.f.-Reihe der Suhrkamp-Taschenbücher – Grundfläche 6 x 8 m. Drinnen handelt es sich um eine Mischung aus Höhle, begehbarer Gebärmutter und bekiffter Berglandschaft, die kein unten und oben mehr kennt. „Phantasy-Landscape“ nannte der Däne Verner Panton – berühmt als Vater des Schalenstuhls aus einem Guss – seine Suche nach einem neuen Wohn- und Lebensgefühl. Uschi Nerke, die mit ihrem weiß-beige-scheckigen Jackett noch immer keine Freundschaft mit der Unauffälligkeit geschlossen hat, lungert lässig an einem von Pantons Stoff-Stalaktiten und rät Kurator Ralf Rummel zu einer Beschallung des Raumes: „Ein bisschen Pink Floyd“. Außerdem bietet sie Museumschef Christiansen an, was beizusteuern zur kleinen Sammlung von verspielten sexy Kleidern, die aus alten Beständen der Schnoor-Boutique Evelyn – welch ein Name – stammen: ein „gewagtes“ Kleid, das sie bei ihren legendären Beat-Club-Moderationen trug. Jetzt ist sie als Journalistin gekommen und darf in „bremen eins“ berichten über ihr jugendliches Alter Ego, das in einer Filmeinspielung über die Wand flimmert.

Neben der „Landscape“, ein Nachbau vom Vitra Design Museum, hat sich das Focke-Museum vor allem zwei Dinge aus der üppigen Sammlung der GH Wuppertal ausgeliehen: Elektrogeräte – TV, Plattenspieler, Küchenmaschinen – die vom Komfort und der neuen Unterhaltungs-Kultur „dieses ers-ten Konsumjahrzehnts nach dem Krieg“ (Rummel) erzählen. Und dann ist da noch eine gewaltige Armee an Stühlen. Der Grund für diese Konzentrierung war zwar, so meint Rummel, eher ein pragmatischer, aber Stühle waren durchaus ein beliebtes Experimentierfeld. Vielleicht wollte man weg von der starren Körper- (und Geistes)haltung, die der klassische Vierbeiner erzwingt. Und so sieht man jetzt vieles, was einlädt zum Rumlümmeln und Fläzen, zum Spintisieren und Ulken: eine weiße Kugel, ein lilanes wellenförmiges Stoffgebilde, ein filigranes Gedicht aus orangenem Plastik, wo das, was einmal Rückenlehne war, nun einem ausgebeulten Giraffenhals ähnelt – und jede Pobacke erhält ihre eigene Einwölbung.

Aber die Wirklichkeit in deutschen Wohnzimmern war meist hölzerner. Deshalb lieh man sich von Quelle alte Kataloge aus und stellte jeden einzelnen augenzwinkernd in eine schwere Glasvitrine – „sind schließlich irgendwie auch Originale“, meint Rummel. Dort sieht man auf einem Foto ein Bett mit rot-schwarz-kariertem Matrazenüberzug, eingezwängt in ein sperriges Verbrechen aus Holz; die Quelle-Chefdesigner wählten für den Hintergrund ein Waldesgrün.

Während die Stühle sich biegen, bauchen, buchten, hielt die Bewegung „Die Gute Form“ am Bauhaus und der Liebe zum rechten Winkel fest. Die Elektrofirma Braun arbeitete – angeregt durch Wagenfeld – eng zusammen mit der Maßstäbe setzenden Hochschule für Gestaltung in Ulm (HfG), zum Teil auf der Basis von demoskopischen Untersuchungen des Allenbach Instituts. 1968, im Jahr der ersten großen Bauhausretrospekte wurde die HfG abgewickelt. Stardesigner Dieter Rams ging in Rente. Während hingegen ein Richard Sapper mit seinem Alessi-Flötenkessel den Weg von der Hippie-Ära in die Postmoderne fand. Was ein bisschen fehlt in der Ausstellung ist die frisch erwachende Punkästhetik. Aber Vivian-Westwood-Klamotten sind wohl nicht einfach auszuleihen.

Dafür erfährt man die Gründe des Qualitätsverlusts beim „Spiegel“. In den Sechzigern gab es eine Schwimmhalle im Verlagshaus und die Redaktion arbeitete nicht in Zimmern, sondern in plastikverschalten bunten Schachteln, auf Teppichen im verwirrenden Vasarelystil, mit Noppen an der Wand und stachelverzierter Decke. Wahrscheinlich war die Rückkehr zum klassischen Weiß der Beginn der Biederkeit im Blatt.

Das Focke-Museum sind zwei Museen in einem, sagt Christiansen, eines für Stadtgeschichte und eines für Design, schließlich war man früher mal Gewerbemuseum. Der Lokalbezug spiegelt sich in der Ausstellung nur wenig wieder: in einem Stadtmusikanten-Plakat, für das sein Schöpfer Fritz Haase sich heute schämen dürfte, und auf Diabildern, wo neben grinsendem Kennedy auch Bremer Straßenzüge zu finden sind (teils aus dem Archiv des Weser Kuriers, teils frisch fotografiert von HfK-Studenten). In die Tiefen der Bremer Archive aber tauchte eine Crew der Radio-Bremen-Ausgründung a.s.a.p. Jetzt sind auf CD-ROM jede Menge Film-, Ton-, Textfundstücke gesampelt. Und so erhält man ab Juni für schlappe 39.90 Mark Songs von The Who und Jimi Hendrix, Dokumente von den Bremer Straßenbahnkrawallen, Werders Meisterschaft, Hübners Theaterinszenierungen und den einst noch herrlich uncoolen Reporterton zum Flugzeugabsturz auf dem Neuländer Feld. bk

Bis 19.8., Vernissage, heute, 19h. Zur Ausstellung gibt es ein üppiges Begleitprogramm, z.B. „Zur Sache Schätzchen“ im Kino 46 (5.-10.7.), einen Vortrag des Kurators am 5.6. , 19h, in der „Langen Nacht der Museen“Kubricks „Odyssee“ im Focke-Garten am 23.6. und Uschi Nerke bei einerBeat-Club-Hommage im Brauhauskeller (3.+9.6.)