Besuch in Stasiland oder Sozialismus zum Anfassen

Die Initiatoren des Freizeitparks-Ost favorisieren eindeutig den populären Themenpark mit Streichelgehege. Eine Reminiszenz an die Vergangenheit

„Mami, guck mal, ist das nicht der Egon Krenz?“ Die Angesprochene schaut zur Ehrentribüne – und tatsächlich, da steht der letzte Generalsekretär des ZK der SED in seinem beigefarbenen Anzug wie einst im Mai. Neben ihm winken Günter Schabowski und Schalck-Golodkowski, sichtlich erholt aus Rottach-Egern heimgekehrt, unermüdlich der vorbeidefilierenden Menge zu. Doch statt Ehrenkompanien und Aktivistenbrigaden schreitet einfaches Touristenvolk an der Tribüne vorbei, acht Stunden lang, von 9 bis 17 Uhr.

Fieberfantasien eingekerkerter SED-Größen? Dantes Inferno? Mitnichten. Wenn es nach den Plänen westdeutscher Investoren geht, könnte die Inszenierung des nicht mehr real existierenden DDR-Sozialismus bald Wirklichkeit werden. Dann steht die Ehrentribüne im Stasiland, dem ersten „ideologischen Garten der Welt“, der im ehemaligen SED-Prominentenghetto Wandlitz bei Berlin eingerichtet werden soll.

Die finanzkräftigen Polit-Artenschützer um den Osnabrücker Unternehmer Wolfgang Harmsen sind wild entschlossen, auf dem zu DDR-Zeiten streng abgeschirmten Gelände ein Freigehege zu schaffen, in dem die letzten verbliebenen Exemplare der vom Aussterben bedrohten SED-Funktionäre artgerecht gehalten werden können.

Die ehemaligen Spitzenpolitiker, Parteifunktionäre und Mitarbeiter der Staatssicherheit präsentieren sich den Besuchern in ihrem natürlichen Lebensraum – neben der Ehrentribüne ist ein originalgetreu nachgebautes Politbüro sowie eine dampfgetriebene Kaderschmiede geplant. Ein stets gut mit Rotplombe-Pudding, Club Cola und Werder-Tomatenketchup bestückter Delikatladen und eine populär gestaltete Mini-LPG sollen jährlich Millionen von Touristen aus aller Welt in den laut Werbebroschüre „ersten Arbeiter-und-Bauern-Park auf deutschem Boden“ locken.

Wo einst Ulbrichts und Honeckers Politbüro-Riege den Sozialismus mit menschlichem Wandlitz entwickelte, soll nun für künftige Generationen das Leben in der DDR erfahrbar gemacht werden. Auch die Schattenseiten bleiben da nicht ausgespart. In den Pfützen eines Schwimmbeckens vor Erich Mielkes Bungalow liegen noch immer die Relikte seines ausschweifenden Lebenswandels herum: leere Krimsektflaschen, die das Volk nur vom Korkenknall her kannte.

Zahlreiche weitere Attraktionen warten auf den Besucher: Neben den geschmackvoll eingerichteten Wohneinheiten soll ein 500 Meter langes Originalteilstück der Berliner Mauer errichtet werden, an dem zweimal täglich Stuntmen aus Babelsberg die spektakulärsten Fluchtversuche aus 40 Jahren DDR-Geschichte nachspielen.

Die Pläne vom „Disneyland auf Kaderebene“ (Berliner Zeitung) haben die Dorfbewohner entzweit. Unterstützt werden die Kritiker von Umweltschützern und Pastoren. Die Ökologen sehen ihr gerade wieder gewonnenes Biotop von frei laufenden ZK- Kandidaten, ordensbehangenen Helden der Arbeit und stets wachsamen Stasispitzeln zertrampelt. Bedenken gegen die Großvermarktung durch Geschäftemacher aus dem Westen macht auch Pfarrer Rainer Bolt geltend. Die Region sei „unser Gebiet, unser Land, und schon wieder wollen Wessis abzocken“.

Doch viele Einwohner der von Arbeitslosigkeit geplagten Gemeinde verbinden auch Hoffnungen mit dem Projekt. Der wilde Voyeurtourismus, der die Siedlung nach der Wende an jedem Wochenende mit hunderten von Schaulustigen überschwemmt hatte, könnte so in geordnete Bahnen gelenkt werden und würde der Gemeinde neben gesicherten Arbeitsplätzen erhebliche Einnahmen bescheren. RÜDIGER KIND