Der Totalhingeber

Alles, was zählt im Leben, ist Arbeit: Henry Rollins gibt eine Spoken- Word-Performance in der Passionskirche

Manchmal möchte man ihn einfach nur in den Arm nehmen und sanft Trost zusprechen: „Sieh mal, Henry, sicher ist die Welt oft schlecht und das Leben schwer. Aber es gibt auch Schönes zu erleben!“

Allein, Henry Rollins würde das gar nicht hören wollen – liegt doch für ihn die Quelle seines Schaffensdranges in genau den Dingen, die er als schmerzhaft, empörend oder schlicht negativ empfindet. Schmerz, sagte er einmal, sei seine alleinige Antriebskraft und Glück gleichbedeutend mit einem Zustand der Selbstzufriedenheit und des Nichtbewusstseins. Alles, was zählt, ist Arbeit. Ach, dieses Klischee, mag man denken: Kunst muss wehtun und dem Leiden entspringen.

Doch so einfach macht es einem der 40-jährige Sänger, Schriftsteller, Schauspieler, Verleger und Plattenfirmeninhaber auch wieder nicht. Henry Rollins sieht sich selbst nicht unbedingt als Künstler. Er hasst es, von Leuten auf der Straße erkannt und als Rockstar verehrt zu werden. KollegInnen, die sich durch die Chartpositionen ihrer Platten oder ihr Gesicht in Hochglanzmagazinen definieren, verabscheut er. Rollins tut lediglich, was er tun muss: diszipliniert und 16 Stunden am Tag. Jeder, so sagt er, könne das; es gelte lediglich den Hintern hochzubekommen. Betrachtet man das Auftreten dieses Mannes und sein schriftstellerisches und musikalisches Werk zwischen zynischem Humor und ständig wiederkehrender Selbstzerfleischung, liegt es nahe, seine Arbeitswut als Katalysator seines zerrütteten Innenlebens zu deuten, als Ventil eines ständig brodelnden Zorns. Nicht selten scheint er jeden Moment detonieren zu wollen vor Intensität – er schreit, schwitzt und stampt, er durchlebt seine Songs mit jeder Faser und gibt immer alles.

Diese Hingabe ist so typisch für Rollins wie seine Vorliebe für schwarze Shorts, der mürrische Blick oder seine Tattoos. Alles wird mit 100 Prozent Einsatz getan – ganz gleich, ob er den Toten des Unglücks von Roskilde mit einem unglaublich energischen Konzert auf seine Art die letzte Ehre erweist oder auf der Popkomm 2000 dem versammelten Musikbusiness eine köstliche Tirade zum Thema „How to survive in the Music Industry“ vor den Latz knallt.

Bei aller Wut und dem manchmal pathetischem Märtyrergestus lässt sich gerade während seiner Spoken-Word-Auftritte eine andere Facette Henry Rollins’ entdecken: die des witzigen und charmanten Entertainers, der eloquent und mit viel Witz in der Art eines Stand-up-Comedians frei assoziierend über Themen referiert, die er sich auf Zettel notiert hat. Dann wirkt er wie ein sarkastischer, systemkritischer Showmaster, der alles und jeden, sich eingeschlossen, als einzige Absurdität entlarvt. ULF IMWIEHE

Sonntag, 20 Uhr, Passionskirche, Marheinekeplatz, Kreuzberg