Spuren der Schmetterlinge

■ Unter dem Titel „Topografie des Gedächtnisses“ wird im Havenspeicher Vegesack zeitgenössische tschechische Kunst vorgestellt / Vernissage an diesem Sonntag

Eine kleine Skurrilität. Es kamen Bürgermeister Henning Scherf, der holländische Honorarkonsul, der tschechische Konsul, Wendelin Seebacher von der STAVE (Stadtentwicklung Vegesack) und jede Menge Repräsentanten von irgendwas in den kristalllüsternen Kaminsaal des Rathauses – und von der Presse gerade mal zwei Leute.

Die drei Ausstellungen, um die es ging, werden dennoch demnächst genug Resonanz finden. Radio-Bremen-Frau Libuse Cerna und Tilman Rothermel – ihr Ehemann, Künstler und Kunsterzieher – haben sich nämlich was Schönes einfallen lassen. Und es wuchs und wuchs und wuchs.

Seit Rothermel 1967 in Prag ein Bühnenbild verfertigte, faszinierte ihn die Kunst jenseits des Eisernen Vorhangs. Die Idee lag nahe, anzuknüpfen an die Kunstachse Prag-Deutschland vor dem Krieg, Stichwort Kafka oder Max Brod. Eine irgendwie persönliche Ausstellung sollte es sein mit den vielen tschechischen KünstlerInnen, die Roth-ermel über die Jahre kennen und schätzen gelernt hat, aber auch mit den Installationen und Videos der ganz Jungen. Dazu sollten Bremer KünstlerInnen gepackt werden, um die verschiedenen Kulturen in Dialog zu bringen.

Da traf es sich gut, dass der sehenswerte Havenspeicher in Vegesack seit seiner Renovierung letztes Jahr nach einer Bespielung lechzt. „Wir hattes schon Angst, dass die Leute die Renovierung sinnlos finden und faule Eier reinwerfen, wenn der Speicher nicht stärker genutzt wird“, erzählt Scherf. Der Speicher wurde 1813 von der Werft Johannes Lange kurz nach Aufhebung der handelshemmenden Kontinentalsperre errichtet. In letzter Zeit war er nur noch „Pfahl im Fleisch der Nachfolge-Werft Lührsen“, so Scherf, und es drohte der Abriss. Nun also erlebt er nach diversen kleineren Ausstellungen ein fettes Programm, das vom 20. Mai bis 7. Oktober läuft. Das Ganze wuchs sich zum europäischen Projekt aus, und nach Tschechien präsentiert sich auch die zeitgenössische Kunst Polens und der Niederlande. Die notorisch in Finanznot steckende UNESCO rückte zwar kein Geld raus, aber ihr Name garantiert, so hofft Rothermel, überregionale und internationale Aufmerksamkeit. Finanziell gut gestellt (mit 20 Millionen Mark für Kultur) ist hingegen der „Deutsch-tschechische Zukunftsfond“. Und deren Präsident ist sogar auch noch froh, wenn seine Gelder nicht nur nach Bayern und Sachsen fließen, sondern nun schon zum zweiten Mal in Bremen gebraucht werden.

Nach dem Fall des eisernen Vorhangs reüssierte im Westen vor allem jene schräge Ost-pop-art, die ihren knallbunten Scherz mit sowjetischen Symbolen trieb. Mittlerweile, so bemerkte jüngst die „Kunstzeitung“, wird hier nur noch wahrgenommen, was dem westlichen Kunstkodex entspricht. Jene Richtung, die sich um eine Rückbindung zur Natur bemüht, wird hier dagegen ignoriert, sagt Rothermel. Im Speicher aber sind sie zu sehen, die Farbpigmente von Steinen, die auf tagelangen Gebirgstouren gesammelt wurden, und die Spuren der Schmetterlinge.

bk

Vernissage mit allen Künstlern und vielen VIPs am 20. Mai, 11 Uhr, Friedrich-Klippert-Str. 1. Rezension demnächst in der taz