Ein Schuhhändler aus Lünen

Investigativer Journalismus hat es in Deutschland schwerer als in anderen Ländern. Schnell droht eine Anklage wegen Hausfriedensbruchs. Ein Erfahrungsbericht

Man drohte mir mit subtilen E-Mails und Anrufen im Mafiastil: Wie es mit meinerGesundheit stehe.

Im März 2001 gab der indische Internet-Nachrichtenanbieter Tehelka.com eine Pressekonferenz in Delhi. Ein vierstündiger Videozusammenschnitt wurde vorgeführt, in dem zwei Journalisten, als Waffenhändler getarnt, hohen Politikern und Bürokraten Bestechungsgelder zuschieben. Resultat war eine regelrechte Regierungskrise; sechs Minister mussten gehen. Indien war in Aufruhr. Zum ersten Mal konnten die Inder ihre korrupten Politiker bei der Arbeit erleben. Die Aufnahmen glichen zum Teil TV-Komödien der erlesenen Klasse. Einer der ertappten Politiker sagte: „Nächstes Mal bringen Sie mir bitte Dollars. Aber nicht in Umschlägen, sondern in einer Stofftasche, damit es neutral wirkt.“

Im gleichen Monat wurde Prinz Edwards Gattin, Sophie Rhys Jones, von einem Reporter der News of the World (London) reingelegt, der sich als ein reicher arabischer Scheich verkleidet hatte. Ungeschminkt plapperte sie über die Queen, Mitglieder der Royal Family und Tony Blair. Sophie tat einem Leid, denn ihre Bloßstellung diente nur dem Zweck, eine Klatsch-und-Tratsch-Geschichte für ein Massenblatt zu liefern.

Wäre so etwas in Deutschland möglich? So wie die jetzige Presse und strafrechtliche Lage aussehen, wohl kaum. In Deutschland könnten die indischen Politiker und Sophie Rhys Jones die Journalisten sofort wegen Hausfriedensbruchs verklagen.

Nehmen wir an, einem Journalisten gelänge es, Walther Leisler Kiep heimlich zu filmen, während er preisgäbe, woher er die berühmte Million hat. Kiep, mit seinen anderen Millionen und fähigen Anwälten, wäre in der Lage, erfolgreich gegen den Journalisten vorzugehen.

Investigativer (Enthüllungs-) Journalismus hat es besonders schwer in Deutschland. Nur der Rechtsabteilung des SWF und der Tatsache, dass wir in Indien und nicht in Deutschland unter falschem Vorwand gedreht haben, ist es zu verdanken, dass wir im April 2001 der deutschen Justiz ausweichen konnten.

Anfang des Jahres las ich in einer indischen Zeitung, dass Deichmann drei Millionen Paar Schuhe in Indien produzieren lässt. Ein paar Tage später berichtete eine andere indische Zeitung über die verheerende Zerstörung der Umwelt durch die Lederindustrie, besonders im südindischen Tamil Nadu. Hier sind einige Deichmann-Produzenten zu Hause. Im Internet wiederum war zu erfahren, dass Deichmann auch christlich-karitative Projekte in Indien betreibt. Er hat das große Bundesverdienstkreuz erhalten und wurde zu Indiens Honorarkonsul in Essen ernannt.

Diese Geschichte von Gott und Gewinnmaximierung war Grund genug, Kontakt mit Herrn Deichmann aufzunehmen. Allerdings gelangte ich nicht weiter als bis zu seiner Sekretärin. Freundlich schickte sie illustrierte Reiseberichte der Eheleute Deichmann in Indien. Deichmanns mit Leprakranken, Deichmanns bei Poliokranken, Deichmanns bei Blinden, Deichmanns beim Besuch von zurechtgeputzten Kindern und vor allem Herr Deichmann, der seinen Goldene-Hochzeit-Kuchen in die Münder von Indern stopft. Das Ganze aufbereitet mit deftigen Bibelzitaten.

Über die Firma und ihre Geschäftspolitik kam keine Rückmeldung. Doch war klar, dass über die Umweltschäden und Produktionsbedingungen in Indien aus erster Hand berichtet werden musste. Eine Dreherlaubnis in einer Schuhfabrik war allerdings undenkbar. So blieb nur, als Schuhhändler aus Deutschland aufzutreten. Also gründeten mein Koautor Thomas Reutter und ich die Schiller Shoes Company mit Sitz in Lünen. An die diversen Lieferanten Deichmanns in Indien wurden Anfragen gemailt: Wir seien im Februar auf Einkaufstour in Indien und ob Interesse bestehe, uns zu empfangen. Vor unserer Abreise druckten wir entsprechende Visitenkarten, besorgten uns eine minidigitale Videokamera und für Geheimaufnahmen eine Spionagekamera, versteckt in einer Herrenhandtasche.

So ausgestattet, präsentierten wir uns bei K. H. Shoes in Ranipet, Tamil Nadu. Um die versteckte Kamera bedienen zu können, hatten wir uns etwas Klischeehaftes ausgedacht. Wie viele Europäer in Indien hatte Thomas angeblich Durchfall und musste ständig zur Toilette. Dort konnte er die Kamera in der Handtasche einschalten und diese auf den Tisch des Direktors stellen. Wir äußerten das starke Bedürfnis, die firmeneigene Gerberei zu besichtigen. Und ob wir dort ein paar Bilder knipsen dürften? Unser Chef in Deutschland hätte gerne einen anschaulichen Eindruck. „No problem.“ Vom Manager der Gerberei begleitet, konnten wir die teilweise skandalösen Zustände filmen. Bilder von Menschen, die mit bloßen Händen und ohne Schutzkleidung in chromverseuchtem Wasser arbeiten, und von willkürlich gelagerten hochgiftigen Gerbemittelfässern.

Am 9. April wurde unser Beitrag von der ARD, „Report Mainz“, gesendet. Eine längere Fassung wurde am gleichen Tag in „Teleglobus“ (S3) ausgestrahlt. Die taz und taz ruhr brachten Reportagen am 10. und 26. April. Deichmann reagierte umgehend: Seine Empörung und Betroffenheit waren angeblich so groß, dass er seine ganze PR-Maschinerie und Anwälte in Gang setzte, um uns bloßzustellen. Zunächst wurden wir kurzerhand als Fälscher dargestellt. Es wurde schlichtweg behauptet, dass die Bilder nicht von Deichmanns Lieferbetrieben stammten. Dass bei seinen Produzenten sauber gearbeitet wird, wurde von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), einer Firma des Bundes, bestätigt. Die Tatsache, dass die GTZ nur den Bereich der Schuhproduktion begutachtet hat – nicht aber die Gerberei –, blieb unerwähnt.

Für Geheimaufnahmen besorgten wir uns eine Spionagekamera, versteckt in einer Herrenhandtasche

Besondere Empörung lösten unsere Arbeitsmethoden aus. Wie würden wohl wir reagieren, wenn jemand unseren Privatbereich fotografieren würde – unter dem Vorwand, den Gaszähler abzulesen? Mal mit versteckten Drohungen, mal mit Appellen an die Vernunft wurde der SWF recht amateurhaft bearbeitet. K. H. Shoes drohte mir mit subtilen E-Mails und Anrufen im Mafiastil: Es wurde sich nach meiner Gesundheit erkundigt. Zum Schluss musste Deichmann doch die Behauptung zurücknehmen, dass die Bilder nicht von seinem Zulieferbetrieb stammten.

Nachdem alles vorbei ist, kann ich mit Sicherheit behaupten, dass es ein geringerer Gegner als der SWF gegenüber dem mächtigen Deichmann schwer gehabt hätte. Da ist es kein Wunder, dass sich viele Medien in Deutschland nur noch mit offiziellen Nachrichten beschäftigen. Enthüllungsjournalismus beschränkt sich darauf, wer mit wem schläft, in Bild und Bunte. Wenige Chefredakteure trauen sich, gesellschaftspolitisch relevante Geschichten an die Öffentlichkeit zu bringen, wenn mächtige Namen in Verruf stehen.

In anderen Ländern, wo der Hausfrieden nicht so rigide geschützt wird und unorthodoxe Methoden erlaubt sind, wären Kiep & Co. längst entlarvt. In Deutschland jedoch werden sie zu Talkshows eingeladen, deftige Honorare, Flug und Hotel bezahlt, um weitere Lügen zu verbreiten. ASHWIN RAMAN